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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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der Wagen da reinfuhr. Es handelte sich um einen Lexus, der in der Nähe von Bruton entführt worden war oder irgendwo in der Gegend. Wie sich herausstellte, war es aber kein Zeuge, der uns anrief, sondern der Carjacker selbst. Im Steinbruch gab es kein Auto.«
    Caffery schwieg einen Moment, und sein Blick verschwamm, als müsste er das alles im Kopf neu ordnen. »Und Sie glauben, es war derselbe, weil …«
    »Weil ein Kind auf dem Rücksitz saß.«
    »Ein Kind?«
    »Ja. Beide Male entführte der Carjacker nicht nur ein Auto, sondern mit ihm auch ein Kind. Beide Male bekam er es mit der Angst zu tun und setzte das Kind ab. Ich wusste, dass es beide Male derselbe war, weil die Kinder ungefähr gleichaltrig waren. Beides Mädchen. Beide knapp zehn.«
    »Martha ist elf«, sagte er abwesend.
    Flea fühlte sich plötzlich schwer – schwer und kalt. Halb hasste sie den Gedanken, den sie ihm unterbreiten wollte. Sie wusste, es würde wie eine Ohrfeige für ihn sein. Er hatte bessere Gründe als die meisten, sich für Pädophile zu interessieren. Sein eigener Bruder war vor fast dreißig Jahren von einem solchen Mann entführt worden, und man hatte ihn nie gefunden. »Na dann«, sagte sie, und ihre Stimme klang ein bisschen sanfter. »Ich schätze, das macht die Sache ziemlich klar. Er will nicht die Autos, er will die Mädchen. Kleine Mädchen.«
    Stille. Caffery sprach nicht, rührte sich nicht, sah sie nur ausdruckslos an. Ein Auto fuhr vorbei. Das Licht der Scheinwerfer fiel auf ihre Gesichter.
    »Okay.« Sie hob die Hand. »Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Wenn Sie damit arbeiten wollen, ist das Ihre Sache.«
    Sie wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. Sie ging zurück zu ihrem Wagen, stieg ein, blieb eine Weile sitzen und beobachtete ihn. Er stand da wie versteinert. Sie dachte daran, wie er sie von oben bis unten gemustert hatte. Als hätte sie ihn irgendwie enttäuscht. Von den Absichten, die einmal in seinem Blick gelegen hatten, war nichts mehr da, nichts von dem, was sechs Monate zuvor ihr Herz geöffnet hatte.
    Warte einen Tag ab, dachte sie und ließ den Motor an. Wenn er bis zum folgenden Abend nichts wegen des Entführers unternommen hätte, würde sie mit seinem Vorgesetzten sprechen.

7
    A n diesem Abend kam in jeder Nachrichtensendung eine Meldung über Martha, zu jeder vollen Stunde, bis tief in die Nacht hinein. Ein Netz von Leuten, die nach ihr suchten, spannte sich über das Country – über das ganze Land. Müde Verkehrspolizisten saßen an den Kennzeichenerfassungsposten, den Blick starr auf die Monitore gerichtet, und glichen jeden dunkelblauen Vauxhall, der an ihnen vorüberfuhr, mit der Datenbank ab. Der eine oder andere Officer genehmigte sich heimlich ein, zwei Stündchen Schlaf, aber mit laut gestelltem Handy für den Fall, dass jemand anrufen sollte. Besorgte Bürger, die die Nachrichten gehört hatten, schauten in ihre Schuppen und Garagen. Sie warfen einen Blick in die Gräben an ihren Grundstücksgrenzen und suchten die Bankette der Straßen vor ihren Häusern ab. Niemand sprach aus, was er dachte: dass Martha schon tot sein könne. In einer so kalten Nacht – ein kleines Mädchen, nur mit T-Shirt, Strickjacke und Regenmantel bekleidet. Auch die Schuhe waren die falschen. Die fotografische Abteilung der Polizei hatte Bilder davon in Umlauf gebracht. Kleine, bedruckte Schuhe mit einem Querriemen und einer Schnalle. Nicht dazu gedacht, in einer eiskalten Winternacht getragen zu werden.
    Die Stunden vergingen, ohne dass sich etwas Neues ergab. Die Nacht ging über in den Morgen, und dann begann ein neuer Tag. Ein windiger, nasser Tag. Ein Sonntag. Martha Bradley würde heute keine Kerzen auspusten. In Oakhill sagte Jonathan Bradley die Geburtstagsparty ab. Mithilfe der Partnergemeinden fand er einen Priester, der ihn in den Gottesdiensten vertrat, und die Familie blieb zu Hause und wartete in der Küche auf Neuigkeiten. Auf der anderen Seite von Bristol, in den Straßen von Kingswood, trotzte nur eine Handvoll Leute dem Wetter, um in die Kirche zu gehen. Sie hasteten am Büro der MCIU vorbei und kämpften gegen den arktischen Wind an.
    Im Gebäude sah es anders aus. Hier liefen die Leute in Hemdsärmeln von einem Büro ins andere. An den Fensterscheiben tropfte das Kondenswasser herunter. Überall herrschte rege Betriebsamkeit. Es gab eine Urlaubssperre, und jeder unterhalb des Rangs eines Inspectors notierte freudig seine Überstunden. In der Einsatzzentrale ging es zu wie

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