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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Das zeigte nur, dachte er, wie tief sich die Spuren, die Eltern hinterlassen, eingruben. Es zeigte auch, wie verletzlich und schutzlos der Verstand eines Kindes war.
    »Kann ich Sie etwas fragen?« Sie verzog das Gesicht. »Nur eine Frage?«
    »Natürlich.«
    »Dieses kleine Mädchen. Martha. Was glauben Sie, was er mit ihr machen wird? Was für schreckliche Sachen wird dieser Mann ihr antun?«
    Caffery atmete langsam und tief ein und lächelte sie ruhig und freundlich an. »Gar nichts. Er wird gar nichts tun. Er wird sie irgendwo absetzen – irgendwo, wo sie sicher ist und gefunden werden kann. Und dann wird er in die Berge fliehen.«

5
    E s war Nacht geworden. Caffery entschied, dass er die Bradleys nicht noch einmal zu besuchen brauchte. Er hatte ihnen nichts mitzuteilen, und außerdem wurden sie laut Betreuerin mit guten Wünschen überschüttet: Nachbarn, Freunde und Gemeindemitglieder brachten Blumen, Kuchen und Wein, um sie aufzumuntern. Caffery sorgte dafür, dass die Beschreibung des Vauxhall an alle automatischen Kennzeichenerkennungsposten gesendet wurde, und weil er noch eine Riesenmenge Papierkram zu erledigen hatte, fuhr er danach zum Büro seines Dezernats, das versteckt hinter dem Polizeirevier in Kingswood lag, an der nordöstlichen Spitze des Kraken, den die Vororte von Bristol bildeten.
    Er hielt vor der elektronischen Schranke an und stieg im gleißenden Licht der Sicherheitsbeleuchtung aus, um den Hemdsärmel hochzuschieben und die Zahl zu studieren, die er sich mit Filzstift auf die Innenseite des Handgelenks geschrieben hatte. Vor drei Wochen hatten sie auf diesem Parkplatz einen Diebstahl hinnehmen müssen: Ein Polizeiwagen war vor ihrer Nase gestohlen worden. Es hatte rote Köpfe und neue Zugangscodes für alle gegeben, und es fiel ihm immer noch schwer, sich seinen Code zu merken. Er hatte die Hälfte der Zahl auf seinem Handgelenk eingetippt, als er merkte, dass ihn jemand beobachtete.
    Er hielt inne, ohne die Hand vom Tastenfeld zu nehmen, und drehte sich um. Es war Sergeant Flea Marley. Sie stand neben einem Wagen mit offener Fahrertür. Jetzt schlug sie sie zu und kam herüber. Der Timer der Sicherheitsbeleuchtung schaltete die Lampen wieder aus. Caffery ließ die Hand sinken und zog den Ärmel herunter. Er hatte das irrationale Gefühl, dass er in der Falle saß.
    Caffery war fast vierzig und jahrelang davon überzeugt gewesen zu wissen, was er von Frauen wollte. Meist hatten sie ihm halb das Herz gebrochen, so dass er lernte, sich korrekt und sachlich zu verhalten. Aber die Frau, die da über die Straße kam, hatte Zweifel in ihm geweckt: War es etwa gar nicht so sehr Effizienz, mit der er sich umgab, sondern vielmehr die raue, harte Schale der Einsamkeit? Sechs Monate zuvor war er im Begriff gewesen, etwas zu unternehmen, als alles, was er über sie zu wissen glaubte, wie von einer Bombe in Fetzen gerissen wurde. Er hatte gesehen, wie sie etwas tat, das völlig undenkbar war für die Person, die er sich vorgestellt hatte. Diese Zufallsentdeckung war durch ihn hindurchgefegt wie ein Sturm und hatte alle seine Empfindungen fortgerissen. Er war verwirrt, ratlos und enttäuscht zurückgeblieben. Enttäuscht auf eine Weise, die er eher aus seiner Kindheit kannte, nicht als Erwachsener. Aus einer Zeit, als Pakis nach Curry rochen und die Dinge noch tiefe Spuren hinterließen. Ein verlorenes Fußballspiel etwa. Oder das Fahrrad nicht zu bekommen, das man sich zu Weihnachten gewünscht hatte. Seitdem war er Flea ein- oder zweimal im Dienst über den Weg gelaufen, und er wusste, er sollte ihr sagen, was er gesehen hatte. Aber noch fehlten ihm die Worte.
    Ein paar Schritte vor ihm blieb sie stehen. Sie trug die Standardwinterkleidung der Unterstützungseinheit: schwarze Cargohose, Sweatshirt und Regenjacke. Das wilde blonde Haar, das sie normalerweise zurückgebunden trug, hing offen auf ihre Schultern. Ein Sergeant einer Unterstützungseinheit sollte wirklich nicht so aussehen wie sie. »Jack«, sagte sie.
    Er streckte die Hand aus und schlug die Tür des Mondeo zu. Richtete sich auf, straffte die Schultern und machte ein ernstes Gesicht. Seine Augen schmerzten, weil er es vermied, sie allzu genau anzusehen.
    »Hallo«, sagte er. »Lange nicht gesehen.«

6
    N ach ihrem Erlebnis im Steinbruch war Flea immer noch nervös und auf der Hut. Die Neuigkeit von dem Carjacking-Fall hatte am Abend die Runde gemacht und ihre abgelegene Einheit kurz vor Feierabend erreicht. Sie bereitete ihr

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