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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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bereitete. Zur Sonnenwende ging die Sonne exakt auf einer Linie mit einer der beiden äußeren Pappeln unter, während sie dies zur Tag- und Nachtgleiche genau hinter der mittleren tat. »Sie sind perfekt ausgerichtet. Jemand muss sie vor hundert Jahren so gepflanzt haben«, hatte er lachend gesagt. »Genau das, was die viktorianischen Gartenplaner begeistert hätte. Du weißt schon, Brunel und dieser ganze Firlefanz.«
    Jetzt stand die Sonne genau zwischen der mittleren und der äußeren Pappel. Sie schaute lange hinüber. Dann sah sie auf die Uhr: Es war der 27. November, auf den Tag genau sechs Monate, dass sie die Leiche in der Höhle versteckt hatte.
    Sie dachte an die Enttäuschung in Cafferys Gesicht am Abend zuvor. Sie trank das Glas leer und rieb sich die Arme. Wie lange musste das noch dauern? Wenn etwas so Unvorstellbares passiert war – wie lange musste man sich dann ausklinken?
    Sechs Monate. Das war die Antwort. Sechs Monate waren lange genug. Zu lange. Die Zeit war gekommen. Die Leiche würde nicht gefunden werden. Nicht jetzt. Sie musste die ganze Sache in den hintersten Winkel ihres Kopfes verbannen, denn jetzt war es Zeit für andere Dinge. Sie musste ihre Einheit wieder auf Vordermann bringen. Sie musste beweisen, dass sie noch der alte Sergeant war. Und das konnte sie. Vielleicht würde dann auch der Tag kommen, an dem nicht nur saure Milch und Fertigmahlzeiten für eine Person im Kühlschrank liegen und jemand neben ihr auf dem Kies der Einfahrt stehen, Tanqueray trinken und zusehen würde, wie die Nacht sich auf die Stadt herabsenkte.

10
    C afferys Kopf fühlte sich an, als wäre er eine Bleikugel, in die die Worte Es funktioniert nicht eingeritzt waren. Er ging den Korridor entlang, öffnete Türen und verteilte Aufgaben. Lollapalooza beauftragte er, die bekannten Sexualstraftäter im Raum Frome herauszufinden, und Turner bat er, weitere Zeugen der Carjacking-Fälle aufzutreiben. Turner sah schrecklich aus, war unrasiert und hatte vergessen, den Diamantohrring herauszunehmen, den er an den Wochenenden trug – was den Superintendent zu wüsten Beschimpfungen veranlasste. Caffery wies ihn darauf hin, bevor Turner das Büro verließ; er stand in der Tür, sagte: »Äh, Turner …?«, und zupfte an seinem eigenen Ohr. Hastig nahm Turner den Ohrring heraus und steckte ihn ein. Caffery ging weiter und sann darüber nach, dass sich keiner in seiner Einheit mehr darum scherte, halbwegs professionell auszusehen. Turner mit seinem Ohrring und Lollapalooza mit ihren Highheels. Nur der Neue, der Exverkehrspolizist DC Prody, schien einen Blick in den Spiegel geworfen zu haben, bevor er am Morgen das Haus verlassen hatte.
    Er saß ordentlich an seinem Schreibtisch, als Caffery hereinkam. Nur eine kleine Lampe brannte. Er schüttelte die Maus auf dem Mauspad hin und her und starrte stirnrunzelnd auf den Monitor. Hinter ihm stand ein Handwerker auf einer Trittleiter und entfernte sorgfältig die Plastikabdeckung von der Leuchtstoffröhre unter der Decke.
    »Ich dachte, diese Computer schalten auf Stand-by«, sagte Prody.
    »Das tun sie auch.« Caffery zog einen Stuhl heran. »Nach fünf Minuten.«
    »Meiner nicht. Ich gehe aus dem Zimmer, komme zurück, und er läuft immer noch auf vollen Touren.«
    »Die Nummer der IT-Abteilung hängt an der Wand.«
    »Ach, da ist das Telefonverzeichnis.« Prody nahm das Blatt von der Pinnwand und platzierte es vor sich auf den Tisch. Rückte es zurecht. Legte die Hände rechts und links auf den Schreibtisch und betrachtete es aufmerksam, als erfreute er sich an der säuberlichen Liste. Er war ein so ordentlicher Mensch, verglichen mit Turner oder Lollapalooza. Am Haken an der Wand hing eine dunkelblaue Sporttasche, und an Prodys Figur konnte man sehen, dass er sie auch benutzte. Er war groß, breitschultrig und solide, und sein kurz geschnittenes Haar färbte sich am Ansatz der Koteletten grau. Ein kräftiger, markanter Kennedy-Kiefer, ein leicht gebräuntes Gesicht. Das Einzige, was sein Aussehen beeinträchtigte, waren die Spuren einer Teenagerakne. Caffery musterte ihn und begriff überrascht, dass er von diesem Mann Gutes erwartete. »Jeden Tag geht’s ein bisschen besser. Ich bin nicht mehr so ein Grünschnabel. Ich kriege jetzt sogar endlich Strom.« Prody deutete mit dem Kopf auf den Elektriker. »Offenbar mögen sie mich.«
    Caffery hob die Hand und schaute den Elektriker an. »Kollege? Können Sie uns kurz allein lassen? Nur zehn Minuten.«
    Wortlos stieg der

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