Verderbnis
war. Solche Fragen konnte man natürlich nicht einfach irgendwem stellen.
»Achtzehnstundentage? Da vergeht einem das Lachen.«
»Einige von uns schlafen auf der Couch.«
»Und …« Sie bemühte sich, nicht zu drängen, sondern gelassen zu klingen. »Und wie viel Personal haben Sie zur Verfügung? Ich meine, bearbeiten Sie auch noch andere Fälle?«
»Nein. Eigentlich nicht.«
»Eigentlich?«
»Ja.« Er klang plötzlich zurückhaltend, als spürte er, dass sie ihn aushorchte. »Keine anderen Fälle. Nur diesen – den Entführer. Warum?«
Sie zuckte die Achseln, schaute zum Fenster und tat, als betrachtete sie den Regen draußen. »Ich dachte nur, Achtzehnstundentage müssen ja hart für alle Beteiligten sein. Für Ihr Privatleben.«
Prody atmete tief ein. »Verrückt – aber wissen Sie was? Diese Bemerkung war nicht besonders komisch. Sie sind eine gescheite Frau, aber der Kasten mit dem Sinn für Humor sieht aus, als wäre er leer, wenn ich das sagen darf.«
Sie starrte ihn an, verblüfft über seinen Ton. »Wie bitte?«
»Ich habe gesagt, das war nicht komisch. Wenn Sie über mich lachen wollen, tun Sie’s von Weitem.« Er legte den Kopf in den Nacken und trank sein Glas in einem Zug leer. Er hatte rote Flecken am Hals, schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück und stand auf.
»Hey!« Sie hob die Hand, um ihn zu bremsen. »Moment mal. Das gefällt mir nicht. Ich habe etwas gesagt, das ich nicht hätte sagen sollen, aber ich weiß nicht, was.«
Er zog den Mantel an und knöpfte ihn zu.
»Mein Gott. Jeder halbwegs anständige Mensch würde mir wenigstens sagen, was ich falsch gemacht habe. Das kommt für mich wirklich aus heiterem Himmel.«
Prody sah sie lange an.
» Was denn? Klären Sie mich auf. Was hab ich gesagt?«
»Das wissen Sie wirklich nicht?«
»Nein, ich weiß es wirklich, wirklich nicht.«
»Die Buschtrommel dringt nicht bis zu den Tauchern?«
»Welche Buschtrommel?«
»Meine Kinder?«
»Ihre Kinder? Nein. Ich …« Sie legte die Hand auf die Augen. »Ich tappe völlig im Dunkeln. Total. Ich schwör’s.«
Er seufzte. »Ich habe kein Privatleben. Nicht mehr. Ich habe meine Frau und meine Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen.«
»Wieso nicht?«
»Anscheinend bin ich jemand, der seine Frau verprügelt. Und ein Kindesmisshandler.« Er zog den Mantel wieder aus und setzte sich. Die roten Flecken an seinem Hals verblassten langsam. »Offenbar schlage ich meine Kinder halb tot.«
Flea fing an zu lachen, weil sie dachte, er leistete sich einen Scherz, aber dann überlegte sie es sich anders und verkniff sich das Grinsen. »Tun Sie das denn wirklich? Ihre Frau verprügeln? Ihre Kinder misshandeln?«
»Meine Frau sagt es. Alle andern glauben es. Allmählich habe ich mich schon selbst im Verdacht.«
Flea betrachtete ihn schweigend. Sein Haar war so kurz, dass man darunter fast die Konturen seines Schädels erkennen konnte. Seine Kinder durfte er nicht sehen. Es hatte nichts mit dem Fall Misty Kitson zu tun. Die Anspannung in ihr löste sich ein wenig. »Mein Gott, das ist hart. Tut mir leid.«
»Muss es nicht.«
»Ich schwöre, davon wusste ich nichts.«
»Schon gut. Ich wollte mich nicht benehmen wie ein Arsch.« Draußen regnete es. Im Pub roch es nach Hopfen, Pferdemist und alten Weinkorken. Aus dem Keller kam das Rumpeln von Bierfässern, die ausgewechselt wurden. Es schien, als wäre es im Gastraum wärmer geworden. Prody rieb sich die Oberarme. »Noch was zu trinken?«
»Was zu trinken? Ja, gern. Äh …« Ihr Blick fiel auf das Ciderglas. »Eine Limo oder Coke oder so was.«
Er lachte. »Limonade? Denken Sie, ich lasse Sie wieder ins Röhrchen blasen?«
»Nein.« Sie schaute ihm fest in die Augen. »Wieso sollte ich das denken?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, nach dem Abend damals hatte ich immer das Gefühl, Sie sind sauer auf mich.«
»Na ja, das war ich auch. Irgendwie.«
»Ich weiß. Sie sind mir seitdem immer aus dem Weg gegangen. Vorher haben Sie mich regelmäßig gegrüßt – im Fitnessraum, wissen Sie, oder sonst wo. Aber danach waren Sie komplett …« Er bewegte die flache Hand vor dem Gesicht nach unten, um zu zeigen, wie sie ihn ignoriert hatte. »Ich muss zugeben, das war hart. Aber ich war auch ziemlich hart gegen Sie.«
»Nein. Sie waren fair. Ich hätte auch einen Alkotest mit mir gemacht.« Sie klopfte mit dem Finger gegen das Ciderglas. »Ich war nicht betrunken, aber ich hab mich blödsinnig aufgeführt. Bin viel zu schnell gefahren.«
Sie
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