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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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zulassen.«
    Sie drückte ihm das Notfallatemgerät in die Hände. »Nicht? Ich hab weder einen Mann noch Kinder. Wenn mir etwas zustößt, wird niemand weinen.«
    »Das stimmt nicht. Es ist nur nicht …«
    »Sschh, Wellard. Halten Sie die Klappe, und nehmen Sie das.«
    Wortlos legte er das Atemgerät auf eine flache Stelle an dem Erdhang.
    »Hier. Haken Sie mich ein.« Sie reichte ihm das Statikseil und wartete, bis er es hinten an ihr Geschirr gehakt hatte. Er drückte ihr sein Knie ins Kreuz und riss versuchsweise an ihrem Geschirr.
    »Okay.« Seine Stimme klang dumpf. »Sie sind gesichert.«
    Sie robbte voran und schob Kopf und Schultern in das dunkle Loch. Baumwurzeln hingen von der Decke und glitten wie Finger über Nacken und Rücken. Mit den Ellbogen schob sie sich ein Stück weiter.
    »Schieben Sie mich.«
    Ein paar Augenblicke vergingen. Dann spürte sie, wie Wellard ihre Fußgelenke umfasste und, so gut er konnte, dagegendrückte. Nichts passierte. Er versuchte es noch einmal, und plötzlich rutschte sie mit einem lauten Schmatzgeräusch wie ein Korken auf der anderen Seite aus dem Loch. Voller Lehm, halb robbend, halb rollend, glitt sie den Erdhang hinunter, überschlug sich einmal und landete dann im Kanal.
    »Verdammt.« Spuckend und hustend rappelte sie sich auf. Um sie herum wogte das schleimige Wasser. Etwas fiel von oben zu ihr herunter. Sie hörte, wie es aufprallte, kullerte und unten zur Ruhe kam – mit einem Klirren, nicht mit einem Platschen. Es lag also nicht im Wasser. Sie beugte sich vor und tastete im Schlamm herum. Es war ihre Helmlampe. »Hören Sie mich?«, schrie sie zu Wellard hinauf. »Hören Sie mich?«
    »Ich kann Sie kaum hören, Sarge.«
    » Sie taube Nuss! «
    »Jetzt ist es besser.«
    Sie knipste die Lampe an. Das stinkende Wasser lief an ihr herunter. Sie ließ den Lichtstrahl umherwandern, sah die Ziegelwände, die mächtigen Narben in der Decke, wo die Lehmschichten eingebrochen waren, die Linien weiterer Schichten, die instabil genug wirkten, um jeden Augenblick herunterzustürzen, und das Wasser, das immer noch in Bewegung war. Und vor ihr, nur ungefähr zehn Meter weit entfernt, befand sich die nächste Einsturzstelle.
    »Sehen Sie was?«
    Flea antwortete nicht. Der Hohlraum wirkte leer bis auf eine alte Kohlenschute am anderen Ende. Nur noch das Heck war sichtbar, der Rest unter der herabgestürzten Erde begraben und das Wasser so seicht, dass man ein Kind – oder die Leiche eines Kindes – auch dann gesehen hätte, wäre es im Kanal gelegen. Flea watete bis zu der Schute, beugte sich über den Rand und leuchtete mit der Lampe hinein. Der Kahn war voller Schlick, auf dem Holzstücke schwammen, sonst nichts.
    Sie richtete sich auf, stützte die Ellbogen auf die Bordwand und ließ das Gesicht in die Hände sinken. Sie war, so weit es ging, in den Tunnel vorgedrungen – und hatte ihn leer vorgefunden. Sie hatte sich geirrt. Nichts als vergeudete Zeit und Energie. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen.
    »Sarge? Alles okay da drin?«
    »Nein, Wellard«, antwortete sie tonlos. »Nichts ist okay. Ich komme raus. Hier ist nichts.«

23
    C affery hatte sich aus dem Van der Unterwassersucheinheit ein Paar Watstiefel geborgt. Sie waren ihm ein paar Nummern zu groß, und die Schäfte schnitten in seine Leisten, als er ans Tageslicht zurückkehrte. In der kurzen Zeit, die er im Tunnel verbracht hatte, waren in der Umgebung des Tunnelportals noch mehr Leute zusammengekommen, nicht nur Presseleute und Neugierige, sondern die halbe MCIU : Sie standen ungefähr vierzig Schritte weit entfernt und spähten in den Tunnel. Alle hatten von der von ihm angeordneten Suchaktion gehört und waren herausgefahren, um zuzusehen.
    Er ignorierte sie und auch die Reporter, die oben hinter der Brüstung standen und die Hälse reckten. Manche hatten ihre Kameras zwischen den dekorativen Zinnen aufgestellt. Draußen auf dem Treidelpfad setzte er sich auf den eiskalten Boden und zerrte die Watstiefel herunter. Er hielt den Kopf gesenkt; niemand brauchte zu sehen, wie wütend er war.
    Er zog seine Schuhe an und schnürte sie zu. Flea Marley und ihr Officer erschienen im Tunnelportal. Von schwarzem Schlamm überzogen, blinzelten sie ins Tageslicht. Caffery erhob sich und ging den Leinpfad entlang, bis er direkt über ihnen stand. »Verdammt, ich bin jetzt wirklich sauer auf Sie, stocksauer sogar«, fauchte er.
    Kühl schaute sie zu ihm empor. Ihr Blick wirkte wegen der Schwellungen unter den

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