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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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lächelte. Er lächelte zurück. Trübes Licht fiel durch das Fenster herein auf den Staub, der in der Luft hing, und die blonden Haare auf Prodys Unterarm. Caffery hatte sehnige, harte Arme mit dunklen Haaren. Prodys waren heller und fleischiger. Vielleicht fühlten sie sich wärmer an als Cafferys, dachte sie.
    »Also Limonade?«
    Sie merkte, dass sie ihn anstarrte, und hörte auf zu lächeln. Ihr Gesicht fühlte sich mit einem Mal taub an. »Entschuldigung.« Unsicher stand sie auf und ging zur Toilette; sie schloss sich in eine Kabine ein, pinkelte, wusch sich die Hände und hielt sie unter den Heißlufttrockner, als ihr Blick auf ihr Spiegelbild fiel. Sie beugte sich über das Waschbecken und betrachtete sich. Ihre Wangen waren gerötet von der Kälte draußen und vom Cider. Sie hatte die Dusche an Bord des Taucherwagens benutzt, aber dort gab es keinen Föhn, sodass ihre weißblonden Haare in der Luft getrocknet waren und lockig ihr Gesicht umrahmten.
    Sie öffnete die oberen Knöpfe. Darunter kam ihre gebräunte Haut zum Vorschein – eine ganzjährige Sonnenbräune, die sie sich als Kind in den vielen Tauchurlauben mit ihren Eltern und Thom erworben hatte. Cafferys Gesicht trat ihr blitzartig vor Augen, wie er sie vom Treidelpfad herunter angeschrien hatte. Wütend. Als leutselig hätte man ihn nie bezeichnet, aber trotzdem – das Ausmaß seiner Wut war nicht nachvollziehbar. Sie knöpfte die Bluse wieder zu und schaute noch einmal prüfend in den Spiegel. Dann öffnete sie die beiden oberen Knöpfe wieder, sodass der Ansatz ihrer Brust zu sehen war.
    Als sie zurückkam, saß Prody am Tisch und hatte zwei Gläser Limonade vor sich stehen. Er bemerkte sofort die beiden offenen Knöpfe, und eine Weile herrschte verlegenes Schweigen. Sein Blick wanderte zum Fenster und wieder zurück, und einen Moment lang sah sie alles klar und deutlich vor sich: dass sie ein bisschen betrunken war und einen dämlichen Eindruck machte mit ihrem Brustansatz, der aus der Bluse lugte. Gleich würde die ganze Geschichte aus dem Ruder laufen, und sie würde in einem Graben landen, aus dem sie nie wieder herauskäme. Sie wandte sich ab, stützte die Ellbogen auf den Tisch und versperrte ihm den Blick auf ihren Busen.
    »Das war ich gar nicht«, sagte sie. »In der Nacht. Ich bin nicht gefahren.«
    »Wie bitte?«
    Jetzt kam sie sich töricht vor. Sie hatte nicht vorgehabt, es zu sagen; sie hatte den Mund nur aufgemacht, um ihre Verlegenheit zu überspielen. »Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Aber es war mein Bruder. Er war betrunken, und ich nicht, und da habe ich ihn gedeckt.«
    Prody schwieg eine Weile. Dann räusperte er sich. »Eine gute Schwester. So eine hätte ich auch gern.«
    »Nein – es war dumm von mir.«
    »Würde ich sagen, ja. Das ist schon ein ziemliches Ding, vor dem Sie ihn da bewahrt haben. Eine Anklage wegen Trunkenheit am Steuer.«
    Ja, dachte sie. Und glaub mir, wenn du wüsstest, wovor ich ihn in Wirklichkeit bewahrt habe – wenn du wüsstest, dass es sehr viel mehr war als eine Anklage wegen Trunkenheit … schwindlig würde dir werden, und deine Augen würden aus ihren Höhlen quellen. Steif und verkrampft saß sie da, starrte auf die Flaschen hinter dem Tresen und hoffte, dass ihr Gesicht nicht so rot aussah, wie es sich anfühlte.
    In diesem Augenblick kam Prodys Essen und rettete sie beide. Bratwurst vom Gloucester-Old-Spot-Schwein mit Stampfkartoffeln und kleinen, roten sauren Zwiebeln, die aussahen wie trübe Murmeln. Prody aß schweigend. Sie fragte sich einen Moment lang, ob er immer noch wütend war, blieb aber trotzdem sitzen, damit die Stimmung sich wieder bessern konnte. Sie sprachen über andere Dinge – über ihre Einheit, über einen Inspector bei der Verkehrspolizei, der mit siebenunddreißig Jahren auf einer Hochzeitsfeier in der Familie einen Herzinfarkt erlitten hatte und tot umgefallen war. Prody aß zu Ende, und um halb zwei standen sie auf, um zu gehen. Flea war müde und spürte ein dumpfes Gefühl im Kopf. Draußen hatte es aufgehört zu regnen; die Sonne schien, aber im Westen türmten sich neue Regenwolken auf. Der Kalkboden des Parkplatzes war von gelblichen Pfützen bedeckt. Auf dem Weg zum Auto blieb sie an der Brüstung über dem Ostportal des Tunnels stehen und spähte hinunter in den dunklen Kanal.
    »Da ist nichts«, sagte Prody.
    »Trotzdem stört mich da etwas.«
    »Hier.« Er reichte ihr eine Visitenkarte der Avon and Somerset Police mit seinen

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