Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
Betrunken und in die Enge getrieben, war er zu Flea gefahren. Unterwegs hatte er mit seiner rücksichtslosen Fahrweise Aufsehen erregt; ein Verkehrspolizist hatte ihn verfolgt und nur wenige Sekunden nach ihm vor Fleas Haustür gestanden, das Alkotestgerät in der Hand. Allem Anschein nach war Fleas Verstand an jenem Abend ausgeschaltet, denn sie hatte ihren Bruder praktisch ohne Not gedeckt. Zu der Zeit wusste sie noch gar nicht, was sich im Kofferraum des Wagens befand. Wäre ihr das klar gewesen, hätte sie nicht für ihn ins Röhrchen geblasen. Sie hätte dem Polizisten nicht geschworen, dass sie den Wagen gefahren habe, und ihm keine schöne runde Null auf der Skala präsentiert.
    Der Cop, der den Alkotest mit ihr durchgeführt hatte, saß jetzt hier, nur ein paar Schritte weit entfernt unter der niedrigen Decke des Pubs, und bestellte einen Drink. Detective Constable Prody.
    Sie schob ihr halb leeres Glas Cider auf die andere Seite des Tisches, zog die Ärmel über die Hände, klemmte diese unter die Achseln und rutschte von ihrem Stuhl herunter. Der Pub – an der östlichen Einfahrt des Kanals, wo man die ersten Erkundungen vorgenommen hatte – war typisch für die Cotswolds: ein riedgedecktes Feldsteingebäude mit Emailleschildern an den Wänden und rußgeschwärztem Ziegelsteingemäuer über dem Kamin. Auf Schiefertafeln standen Biersorten und das Lunchmenü. Aber an diesem trüben Novembertag waren mittags um zwei die einzigen Gäste in diesem Lokal ein nicht mehr ganz junger Whippet, der vor dem Feuer schlief, der Barmann, Flea – und Prody. Irgendwann würde er sie bemerken. Unweigerlich.
    Der Barmann stellte sein Lagerbier auf den Tresen. Prody bestellte sich etwas zu essen und nahm einen Schluck Bier. Er entspannte sich ein bisschen, drehte sich auf dem Hocker um und betrachtete die Umgebung. Dann erkannte er sie. »Hey.« Er nahm sein Glas vom Tresen und kam herüber. »Noch hier?«
    Sie lächelte gezwungen. »Sieht so aus.«
    Er blieb hinter dem leeren Stuhl an ihrem Tisch stehen. »Darf ich?«
    Sie nahm ihre nasse Jacke von der Lehne, damit er sich setzen konnte. Er machte es sich bequem. »Ich dachte, Ihre Einheit ist schon nach Hause gefahren.«
    »Ja, schon. Sie wissen ja.«
    Prody stellte sein Glas ordentlich auf einen Bierdeckel. Er trug sein Haar sehr kurz geschnitten und hatte Geheimratsecken. Seine Augen waren hellgrün, und er machte den Eindruck, als wäre er im vergangenen Monat im Urlaub gewesen, irgendwo in einer heißen Gegend, denn die Fältchen an seinen äußeren Augenwinkeln waren weiß. Er drehte das Glas auf dem Bierdeckel, hob es dann hoch und betrachtete den feuchten Ring, den es hinterließ. »Es hat mir nicht gefallen, wie er Sie da zur Schnecke gemacht hat. Das war unnötig. So brauchte er mit Ihnen nicht zu reden.«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht war ich selbst schuld.«
    »Nein, das ist er . Irgendwas stinkt ihm. Sie hätten mal hören sollen, wie er mich angeschnauzt hat, als Sie weg waren. Ich meine, fuck , was hat er für ein Problem?«
    Sie zog eine Braue hoch. »Dann schmollen Sie auch? Nicht bloß ich?«
    »Ehrlich?« Er lehnte sich zurück. »Ich arbeite achtzehn Stunden täglich, seit diese Sache angefangen hat, und da wäre es doch nett, wenn man am Schluss auch mal ein paar Streicheleinheiten kriegt. Stattdessen sagt er mir, ich soll mich verpissen. Was mich angeht, kann er sich seine Überwachungsvideos sonstwohin schieben. Und seine Überstunden auch. Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen«, er hob sein Glas, »aber ich nehme mir heute Nachmittag frei.«
    Flea hatte Paul Prody seit jener Nacht hin und wieder im Dienst gesehen, einmal an dem Tag, als die Einheit im Steinbruch nach Simone Blunts Auto suchte, und gelegentlich auch in den Büros, die die Unterwassersucheinheit mit der Verkehrspolizei teilte. Sie hatte ihn für einen Fitnessfreak gehalten; ständig war er mit einem schweißnassen Nike-T-Shirt auf dem Weg in die Dusche gewesen. Sie hatte es vermieden, direkt mit ihm zu sprechen, aber ihn aufmerksam von Weitem im Auge behalten. Im Lauf der Monate war sie zu der Überzeugung gelangt, dass er keine Ahnung hatte, was sich in besagter Nacht im Kofferraum befand. Doch damals war er Verkehrspolizist gewesen. Jetzt arbeitete er bei der MCIU , hatte also viel mehr Grund, sich an die Nacht zu erinnern. Es machte sie wahnsinnig, nicht zu wissen, wie weit oben der Fall Kitson auf der Prioritätenliste der MCIU stand und welcher Dienstgradebene er zugewiesen

Weitere Kostenlose Bücher