Verderbnis
wurde – hinunter in den Fußraum, wo sie vielleicht mit dem Kopf aufgeschlagen ist. Vielleicht weiß er gar nicht, dass sie da ist. Sie könnte bewusstlos da unten liegen, und er fährt immer noch herum. Oder er hat den Wagen schon irgendwo abgestellt, und sie liegt noch drin, weiterhin bewusstlos.«
»Der Tank ist voll«, sagte Rose. »Ich habe auf dem Weg nach Bath getankt. Also könnte er schon weit weg sein, wissen Sie. Schrecklich weit.«
»Ich kann mir das nicht anhören.« Philippa schob ihren Stuhl zurück, lief zum Sofa und wühlte in den Taschen einer Jeansjacke. »Mum, Dad.« Sie zog eine Packung Benson & Hedges heraus, zeigte sie ihren Eltern und schüttelte sie hin und her. »Ich weiß, das ist weder der Ort noch der Augenblick dafür, aber ich rauche. Schon seit Monaten. Tut mir leid.«
Rose und Jonathan sahen ihr nach, als sie zur Hintertür ging. Keiner der beiden sagte etwas, als sie die Tür aufriss und mit einem Feuerzeug herumfummelte. Ihr Atem hing weiß in der kalten Abendluft. Weit hinten im Tal funkelten Lichter. Es war zu kalt für November, dachte Caffery. Viel zu kalt. Er spürte die Weite dieser Landschaft. Die Last von tausend kleinen Landstraßen, auf denen Martha ausgesetzt worden sein konnte. Ein Yaris war ein eher kleines Auto mit einem relativ großen Tank und einer beträchtlichen Reichweite – vielleicht bis zu fünfhundert Meilen –, aber Caffery glaubte nicht, dass der Carjacker einfach schnurgeradeaus gefahren war. Er stammte aus der Gegend – er hatte genau gewusst, wo die Straßenüberwachungskameras hingen. Er wäre viel zu nervös, um sein vertrautes Revier zu verlassen. Er würde sich immer noch in der Nähe aufhalten, irgendwo, wo er sich auskannte. Wahrscheinlich suchte er eine Stelle, die entlegen genug lag, um das Kind laufen zu lassen. Caffery zweifelte nicht daran, dass es so war, aber die verflossene Zeit pochte lautlos in seinem Schädel herum. Dreieinhalb Stunden. Inzwischen fast vier. Er rührte in seinem Tee. Betrachtete seinen Löffel, statt den Blick vor den Augen der Familie auf die Wanduhr zu richten.
»Und, Mr. Bradley«, sagte er, »ich höre, Sie sind der Gemeindepfarrer?«
»Ja. Ich war Schulleiter, aber vor drei Jahren bin ich ordiniert worden.«
»Sie machen den Eindruck einer glücklichen Familie.«
»Das sind wir auch.«
»Sie leben im Rahmen Ihrer Verhältnisse? Wenn das keine unhöfliche Frage ist.«
Jonathan lächelte kurz und betrübt. »Ja. Durchaus im Rahmen unserer Verhältnisse, vielen Dank. Wir haben keine Schulden. Ich bin kein heimlicher Spieler oder Drogensüchtiger. Und wir haben niemanden verärgert. Wäre das Ihre nächste Frage?«
»Dad«, sagte Philippa leise. »Sei nicht so beschissen patzig.«
Er ignorierte seine Tochter. »Wenn Sie auf so was hinauswollen, Mr. Caffery, dann kann ich Ihnen versichern, dass Sie auf dem Holzweg sind. Es gibt keinen Grund, weshalb irgendjemand ein Interesse daran haben könnte, sie uns wegzunehmen. Nicht den geringsten. So eine Familie sind wir einfach nicht.«
»Ich verstehe, dass Sie frustriert sind. Ich möchte mir nur ein klareres Bild verschaffen.«
»Es gibt kein Bild. Es gibt kein Bild. Meine Tochter ist entführt worden, und wir warten darauf, dass Sie etwas unternehmen –« Er unterbrach sich, als hätte er plötzlich gemerkt, dass er brüllte. Schwer atmend lehnte er sich zurück, puterrot im Gesicht. »Es tut mir leid.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Müde sah er aus. Erledigt. »Es tut mir leid – wirklich. Ich wollte es nicht an Ihnen auslassen. Nur – Sie können sich einfach nicht vorstellen, was für ein Gefühl das ist.«
Ein paar Jahre zuvor, als er noch jung und hitzköpfig gewesen war, wäre Caffery über eine solche Bemerkung wütend geworden – über die Annahme, er könne nicht wissen, was für ein Gefühl das sei –, aber die Gnade des Alters half ihm, ruhig zu bleiben. Jonathan Bradley wusste nicht, was er da sagte, er hatte keine Ahnung – woher sollte er sie auch haben? –, und deshalb legte Caffery die Hände auf den Tisch. Flach. Um zu zeigen, wie ruhig er war. Wie gut er alles unter Kontrolle hatte. »Hören Sie, Mr. Bradley, Mrs. Bradley, niemand kann hundertprozentig sicher sein, und ich kann Ihnen nicht die Zukunft voraussagen, aber ich bin bereit, mich weit aus dem Fenster zu lehnen und zu sagen, ich habe das Gefühl – das starke Gefühl –, dass diese Sache gut ausgehen wird.«
»Du lieber Gott.« Eine Träne rann
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