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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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natürlich erinnere ich mich. Die armen kleinen Dinger. Und die arme Mutter. Sie saß am Fenster und schaute zu ihnen hinaus.«
    Janice lachte leise und traurig. Tränen brannten hinter ihren Lidern, wenn sie an den Vogel dachte. Damals hatte sie Mitleid mit den toten Vogelbabys in dem Nest gehabt und sie alle unter einem weißen Stein im Blumenbeet begraben. Sie musste erst erwachsen werden und selbst ein Kind bekommen, um zu erkennen, dass die Vogelmutter am meisten gelitten hatte, als sie ihre Kinder hat sterben sehen, ohne ihnen helfen zu können. »Als das Auto gestern wegfuhr, konnte ich immer nur an den Vogel denken.«
    »Janice.« Ihre Mutter legte ihr den Arm um die Schultern und küsste sie auf den Scheitel. »Schatz. Sie ist jetzt in Sicherheit. Es ist vielleicht nicht besonders hübsch hier, aber zumindest kümmert sich die Polizei um uns.«
    Janice nickte und biss sich auf die Unterlippe.
    »Jetzt lauf und mach dir noch eine schöne Tasse Tee. Ich werde inzwischen das grässliche Badezimmer putzen.«
    Janice blieb noch lange mit verschränkten Armen in der halb offenen Tür stehen. Sie wollte nicht in die winzige, deprimierende Küche gehen, in der Cory mit einer Tasse Kaffee und seinem iPhone saß und seine E-Mails beantwortete. Das tat er schon den ganzen Morgen. Er hasste es, nicht ins Büro zu können. Lange hatte er düster vor sich hin gebrummelt: über verlorene Zeit, über die Rezession, über die Schwierigkeiten, einen Job zu finden, über Undankbarkeit, als nähme er Janice übel, was ihnen passiert war, als hätte sie dies alles geplant, nur um ihn von seiner Arbeit abzuhalten.
    Schließlich stieg sie hinauf in das kleine Schlafzimmer an der Vorderseite. Auf zwei Einzelbetten lagen Schlafsäcke, die sie und Cory mitgenommen hatten, als sie das Haus verließen, und Bettlaken, die Nick irgendwo aufgetrieben hatte. Sie betrachtete die beiden Betten. Es wäre das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass sie in einem eigenen Bett schliefe. Nach all der gemeinsam verbrachten Zeit, und nach allem, was sie durchgemacht hatten, wollte Cory immer noch Sex. Tatsächlich wollte er sogar noch mehr, seit Clare im Spiel war. Auch wenn Janice nur still im Dunkeln liegen und sich hinter ihren geschlossenen Augenlidern Träumen hingeben wollte, ließ sie ihn gewähren. Damit ersparte sie sich seine schlechte Laune, die versteckten Andeutungen, sie entspreche nicht den Erwartungen, die er an seine Ehefrau habe. Aber sie blieb stumm, wenn es passierte.
    Draußen hielt ein Auto. Instinktiv ging sie zum Fenster und hob den Vorhang. Der Wagen stand auf der anderen Straßenseite. Auf dem Rücksitz lag ein Hund – ein Collie –, und am Steuer saß DI Caffery. Er stellte den Motor ab, blieb eine Weile sitzen und schaute mit ausdrucksloser Miene zum Haus. Er sah gut aus, aber sein Blick hatte etwas Beherrschtes, Wachsames, das sie ratlos machte. Er saß seltsam still da, und allmählich dämmerte ihr, dass er nicht einfach ins Leere glotzte, sondern etwas vor dem Haus fixierte. Sie legte die Stirn an die Fensterscheibe und spähte nach unten. Nichts Besonderes. Nur ihr Auto, das in der Einfahrt parkte.
    Caffery stieg aus, schlug die Wagentür zu und blickte die verlassene Straße entlang, als würde er mit einem Scharfschützen rechnen. Er zog den Mantel fester um sich, überquerte die Straße und blieb in der Einfahrt vor dem Audi stehen. Sie hatten ihn vor dem Zurückbringen sauber gemacht. Die Delle am Kotflügel auf der Fahrerseite, die der Entführer bei seinem Unfall verursacht hatte, war nicht so schlimm. Aber etwas daran weckte Cafferys Interesse. Er betrachtete sie aufmerksam.
    Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. »Was gibt’s?«, flüsterte sie. »Was wollen Sie?«
    Er hob den Kopf. »Hallo«, sagte er. »Kann ich reinkommen? Wir müssen uns unterhalten.«
    »Ich komme runter.« Sie zog sich einen Pullover über ihr T-Shirt und schlüpfte in ihre Stiefel, ohne sich die Mühe zu machen, die Reißverschlüsse hochzuziehen. Dann ging sie leichtfüßig die Treppe hinunter. Caffery wartete draußen im kalten Nieselregen. Er stand ihr zugewandt und mit dem Rücken zum Auto, als wollte er es bewachen.
    »Was ist denn?«, zischelte sie. »Sie machen so ein komisches Gesicht? Stimmt was nicht mit dem Auto?«
    »Ist mit Emily alles okay?«
    »Ja. Sie hat vorhin zu Abend gegessen. Warum?«
    »Sie müssen sie noch mal stören. Wir ziehen um.«
    »Wir ziehen um? Warum? Wir sind doch eben erst …« Dann ging

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