Verderbnis
jemanden gesehen? Reporter vielleicht? Vor Ihrem Haus?«
»Cory hat den ganzen Nachmittag Wache gehalten. Da war keine Menschenseele.«
»Und Sie sind sicher – hundertprozentig sicher –, dass Sie niemandem etwas erzählt haben?«
»Ja, absolut sicher.« Sie hatte Tränen in den Augen. »Ich schwör’s. Und meine Mutter hat es auch niemandem gesagt.«
»Keine Nachbarn haben Sie kommen oder gehen sehen?«
»Nein.«
»Und als Sie weggegangen sind?«
»Wir waren nur in der Nachbarschaft einkaufen. In Keynsham. Brot fürs Frühstück. Mum hatte keins mehr.«
»Sie haben nicht versucht, nach Mere zurückzufahren?«
» Nein !« Sie schwieg, als wäre sie über die Heftigkeit ihres Ausrufs selbst erschrocken. Fröstelnd schob sie die Ärmel hoch. »Hören Sie – es tut mir leid. Ich habe einfach immer und immer wieder über alles nachgedacht. Wir haben nichts getan. Das schwöre ich.«
»Wo ist Emily jetzt?«
»Mit Cory unten in einem Büro.«
»Ich werde etwas für Sie finden. Geben Sie mir eine halbe Stunde Zeit. Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass es so schön ist wie bei Ihnen zu Hause – oder bei Ihrer Mutter –, oder dass es in der Nähe von Keynsham sein wird. Es kann überall in Avon and Somerset sein.«
»Mir ist egal, wo es ist. Ich will nur wissen, dass wir in Sicherheit sind. Und ich möchte, dass meine Mutter mitkommt.«
Caffery griff zum Telefon, als ihm etwas einfiel. Er legte den Hörer wieder hin, ging zum Fenster, hob eine Jalousielamelle an und spähte hinaus auf die Straße. Es war dunkel und regnerisch, und die Straßenlaternen brannten noch, obwohl es Morgen war. »Wo steht Ihr Wagen?«
»Draußen. Hinter dem Gebäude.«
Er schaute weiter auf die Straße hinaus. Ein oder zwei Autos parkten dort, aber sie waren leer. Eins fuhr langsam vorbei. Er ließ die Jalousie los. »Ich werde Ihnen einen Fahrer geben.«
»Ich kann Auto fahren.«
»Aber nicht so wie dieser Fahrer.«
Janice schwieg und starrte auf die Jalousie. Starrte in die Dunkelheit dahinter. »Sie meinen, er beherrscht Fluchtfahrtechniken, ja? Sie glauben, der Kerl könnte uns hierher gefolgt sein?«
»Ich wünschte, ich wüsste es.« Caffery nahm den Hörer ab. »Gehen Sie, und warten Sie bei Emily. Gehen Sie schon. Nehmen Sie sie in den Arm.«
33
D as Team suchte die regennassen Straßen in der Umgebung des Büros ab und fand nichts. Kein Auto, das grundlos herumstand. Kein dunkelblauer Vauxhall, dessen Kennzeichen auf WW endete. Niemand, der wegfuhr, als die Polizei auftauchte und mit Vollgas die Highstreet entlangjagte. Aber das war auch nicht anders zu erwarten. Der Entführer war zu gerissen, um sich so berechenbar zu verhalten. Die Costellos wurden beruhigt und in einem Safe House in Peasedown St. John untergebracht, mehr als dreißig Meilen weit von den Bradleys entfernt. Ein speziell ausgebildeter Fahrer erschien und chauffierte das Auto der Familie. Er rief Caffery eine halbe Stunde später an und teilte ihm mit, dass sie gut angekommen seien; Nick und ein Corporal der Ortspolizei hatten eine schützende Fassade für sie errichtet.
Als Caffery darüber nachdachte, wie es dem Entführer gelungen sein konnte, die Familie zu finden, wurden die Kopfschmerzen, die ihn schon den ganzen Morgen plagten, heftiger. Am liebsten hätte er die Jalousien geschlossen, das Licht ausgeschaltet und sich neben dem Hund auf dem Boden zusammengerollt. Der Entführer war wie ein Virus, das sich in einem erschreckenden Tempo entwickelte und mutierte, und die vielen unbeantworteten Fragen wollten einfach kein Ende nehmen. Caffery musste sie beiseiteschieben. Wenigstens für eine Weile.
Er brachte den gelben Aktenordner zurück zum Revisionsteam mit der Anweisung, ihn zu informieren, falls jemand unter dem Rang eines Inspectors ihn anforderte. Dann machte er sich mit Myrtle auf den Weg zum Auto. Fuhr durch trostlose Vororte auf die Ringstraße mit ihren seelenlosen Gewerbegebieten und Riesensupermärkten und vorbei an den Multiplexkinos mit ihren Flitterweihnachtsbäumen über den Filmplakaten. In Hewish, wo die Jets tief über die Ebene von Somerset donnerten, machte er halt und parkte vor einem Schrottplatz.
»Du bleibst hier«, sagte er zu dem Hund. »Und mach keinen Ärger.«
Damals in seiner Probezeit in London hatten die Stichprobenkontrollen bei den Schrotthändlern in Peckham zu den Aufgaben gehört, die Caffery am wenigsten mochte. Die Masse von gestohlenem Metall, die dort umgeschlagen wurde, war gigantisch
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