Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
meinen herzlichsten Glückwunsch, Signor Krobat, hiermit sind Sie der neue Besitzer von Mossina.«
Signor Krobat, der neue Besitzer von Mossina … Die Worte klangen in Rudolfs Kopf nach. Er hörte sie selbst dann noch, als er am Steuer von Bianchis Ferrari, den brüllenden Zwölfzylinder im Rücken, zurück nach Venedig fuhr, wo er die nächsten Tage in seinem Palazzo verbringen wollte.
51
D ie Zeiger auf dem vergoldeten Zifferblatt der Torre dell’Orologio rückten gegen zwei Uhr vor. Der nächtliche Himmel über Venedig war sternenklar. Die in Bronze gegossenen Mohren auf dem Dach warteten auf den nächsten Stundenschlag. Seit über fünfhundert Jahren gingen sie mit großen Hämmern dieser Aufgabe nach. Die Piazza San Marco war zu dieser späten Stunde menschenleer. Von der Calle San Moisé näherten sich Schritte. Sie waren kurz und schnell und hatten einen hellen Klang.
Giuliana war Mitte zwanzig. Sie hatte rote, hochhackige Stöckelschuhe an, schwarze Netzstrümpfe und einen ausgesprochen kurzen Rock. Ein Stoffjäckchen wärmte ihre bloßen Schultern. Giuliana freute sich auf ihr Zuhause. Nur einen Freier hatte sie an diesem Abend gehabt, aber der hatte sich gelohnt. Sie war stolz darauf, dass es ihr wieder einmal gelungen war, sich im eleganten Gritti Palace an der Rezeption vorbeizumogeln. Das war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, aber sie kannte einen der Aushilfsportiers. Giuliana war bei einem Russen aus St. Petersburg auf dem Zimmer gewesen. Und die Entlohnung ihrer Liebesdienste war geradezu fürstlich ausgefallen. Sie mochte diese neureichen Russen, die immer häufiger in den besten Häusern Venedigs residierten. Zwar rochen sie oft nach Alkohol, aber sie wussten einen guten Fick zu schätzen. Es machte sich bezahlt, wenn man sich engagierte.
Giuliana lief an den Arkaden der Procuratie Nuove entlang über die Piazza San Marco. Dabei fiel ihr die Tote aus dem Rio dell’Arsenale ein. Eigentlich hatte sie Angelica nicht gemocht, was nur zu natürlich war, denn sie waren unmittelbare Konkurrentinnen. Beide hatten sie es auf zahlungskräftige Touristen und Geschäftsleute abgesehen. Und Angelica war gut im Geschäft gewesen, hatte ihr sogar einige Male einen Freier weggeschnappt. Aber diesen Tod, nein, den hatte sie nicht verdient. Grauenvoll. Nackt hatte man sie aus dem Rio dell’Arsenale gefischt. In der Zeitung hatte gestanden, dass sie mit einer roten Samtkordel erdrosselt worden sei. Von einem Bekannten bei der Polizei hatte sie erfahren, dass man bei der Leiche außerdem tiefe Stiche in der Brust gefunden habe. Sie stammten offensichtlich von einem Stilett. Vermutlich seien ihr die Stiche erst nach ihrem Tod zugefügt worden. Aber ganz sicher schien sich die Gerichtsmedizin nicht zu sein. Erdrosselt und erstochen! Schaudernd zog Giuliana die Strickjacke enger um ihre Schultern und beschleunigte ihre ohnehin schon eiligen Schritte, die auf dem leeren Markusplatz hohl widerhallten. Schon vor einigen Wochen hatte man am Strand vom Lido, ganz in der Nähe des Spielkasinos, eine nackte weibliche Leiche gefunden. Über die Todesursache hatte nichts in der Zeitung gestanden. Ob sie wohl auch eine rote Kordel als Halsschmuck getragen hatte? Giuliana hatte damals nicht weiter darüber nachgedacht, weil sie annahm, dass es sich um eine Touristin handelte. Aber vielleicht war das auch eine Professionelle gewesen? Eine, die von auswärts kam und im Milieu nicht bekannt war?
Giuliana bog nach rechts auf die Piazzetta. Hätte sie sich umgedreht, hätte sie vor der Loggetta das kurze Aufglühen einer Zigarette bemerken können. Vom Fuße des Campanile löste sich ein Schatten, der ihr in einigem Abstand folgte. Giuliana fühlte sich beruhigt, als sie an dem Molo San Marco einige Menschen sah. Am Dogenpalast vorbei kam sie zum Ponte della Paglia. Sie warf einen kurzen Blick auf den Ponte dei Sospiri, die Seufzerbrücke, die den Palazzo Ducale mit den Kerkern auf der anderen Seite des Rio di Palazzo verband. Giuliana dachte, dass es ihr entschieden wohler wäre, wenn sie Angelicas Mörder so sicher eingesperrt wüsste wie einst die Gefangenen in den Pozzi, den feuchten Kellerverließen der Prigioni nuove. Ob es sich um einen Serientäter handelte? So eine Art Jack the Ripper? Der es einzig auf Nutten abgesehen hatte? Während sie die Riva degli Schiavoni hinuntereilte, nahm sie sich vor, bei einer etwaigen weiteren Toten mal eine Pause einzulegen und zu ihrer Mutter nach Kalabrien zu fahren.
Giuliana
Weitere Kostenlose Bücher