Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
scheint, voran. Aber um auf die wirklich wesentlichen Dinge im Leben zu kommen: Ich stelle fest, unsere Teller sind leer. Es wird also Zeit, dass ich mich wieder in die Küche begebe. Ihr wisst, der kulinarische Höhepunkt steht uns erst bevor. Bei aller Bescheidenheit muss ich erwähnen, dass es Feinschmecker von Rang und Namen gibt, die mein
Fegato alla Veneziana
für eine Offenbarung halten. Nur Banausen vertreten die Auffassung, die Zubereitung von gebratener Kalbsleber sei einfach. Schon beim Dünsten der Zwiebeln und der Salbeiblätter können die ersten folgenschweren Fehler unterlaufen. Nicht zu reden von der sachkundigen Vorbereitung der Kalbsleberstreifen. Na ja, und die Polenta, die es dazu gibt, auch die erfordert vollste Konzentration und innere Anteilnahme.«
»Wenn man dir zuhört, dann könnte man glauben, du komponierst eine Oper, dabei rührst du nur in der Küche einige bodenständige Speisen zusammen«, ulkte Mark.
Roberto sah Laura kopfschüttelnd an. »Ich habe schon immer gesagt, diese Engländer können nicht einmal ein Porridge vernünftig zubereiten. Das nächste Mal bringe ich ihm Fish and Chips mit. Und das Stellenangebot als Koch lehne ich hiermit unwiderruflich ab.«
»Eine gute Polenta ist wirklich nicht selbstverständlich«, sprang Laura Roberto zur Seite. »Sie soll ja nicht schmecken wie die Getreidegrütze, die die alten Römer Pulmentum nannten und mit der sie ihre Legionäre aufpäppelten. Eine zeitgemäße Polenta wird zunächst einmal aus Mais hergestellt, den die alten Römer noch nicht kannten und der erst nach der Entdeckung Amerikas über die Türkei nach Venedig und von dort in die alte Welt gekommen ist. Außerdem gibt es unzählige Varianten als Pudding, als Fladen in Öl gebraten oder gegrillt bis hin zur Polenta, die am Spieß gebraten wird.«
»Laura, du hast dich in hervorragender Weise qualifiziert, mir bei der Zubereitung zu assistieren. Das Wichtigste bei der Zubereitung einer Polenta ist ja das fortwährende Rühren, damit sich keine Klumpen bilden. Mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe betraue ich dich. Und wenn die Polenta fertig ist, kann Mark einen Löffel in die Mitte des Topfs stecken und prüfen, ob er aufrecht stehen bleibt. Ich schätze, das wird er zu Wege bringen.«
50
A ndrea Bianchi erwartete Rudolf, der mit der Morgenmaschine aus München gekommen war, am Aeroporto Marco Polo, dem Flughafen von Venedig. Als Rudolf den roten Ferrari des Maklers sah, der im Halteverbot direkt vor dem Haupteingang parkte, dachte er einmal mehr, dass es ausgesprochen erfreulich ist, mit Menschen Geschäfte zu machen, die über eine kultivierte Lebensart verfügen. Rudolf verstaute seinen Aktenkoffer im winzigen Gepäckraum unter der Fronthaube. Bianchi erklärte ihm, dass Dottor Luzzo im Weingut Mossina bereits auf sie warte und dass alles für die Besichtigung der Azienda Agricola vorbereitet sei. Rudolf hörte noch die Frage, ob denn der Flug über die Alpen angenehm gewesen sei? Der aufbrüllende Zwölfzylinder im Rücken machte indes jede Antwort hinfällig. Wenig später demonstrierte Bianchi – beim Autobahnkreuz auf die A4 nach Padua –, wie die exzellente Straßenlage des Ferrari zu beachtlichen Fliehkräften am Kopf führen konnte. Unter Missachtung der in Italien üblichen Geschwindigkeitsbegrenzung beschleunigte Bianchi zügig auf über 200 Stundenkilometer. Beruhigt stellte Rudolf mit einem Blick zum Fahrer fest, dass Bianchi den Wagen völlig entspannt und routiniert unter Kontrolle hatte.
Das Schild flog so schnell vorbei, dass der Hinweis auf die
controllo velocità
kaum zu lesen war. »Haben Sie denn keine Angst vor einer Geschwindigkeitskontrolle?« Rudolf musste schreien, um zu Bianchi durchzudringen.
»Niente affatto!« Bianchi lachte. »Das ist der Vorteil eines Ferrari. Dieses Auto ist ein nationales Kulturgut. Es hat ein Anrecht auf freie Fahrt. Das wird sogar von der Polizia stradale respektiert.«
Als Bianchi, am Ziel angekommen, vor dem Hauptgebäude des Weinguts den Motor abstellte, erschrak Rudolf. So unglaublich still war es plötzlich, dass er ernsthaft einen Hörsturz in Erwägung zog. Vielleicht sollte er sich für die Rückfahrt Watte in die Ohren stopfen?
Bianchi drückte ihm die Autoschlüssel in die Hand. »So, zurück fahren Sie. Einverstanden?«
Rudolfs Augen glänzten. »Sehr gerne, aber Ihre Zeit werde ich kaum unterbieten.«
»Das hoffe ich, sonst wäre ich in meiner Ehre verletzt. Ah, da ist ja schon Dottor
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