Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Vater beraubt, wer weiß wie vielen Menschen Unrecht angetan. Er ist gemeingefährlich und gehört aus dem Verkehr gezogen.«
»So wie er es mit Alessandro gemacht hat? Indem wir ihm den Schädel einschlagen?«
»Nein, natürlich nicht. Du musst zur Polizei gehen! Du hast so viel herausbekommen, triff dich mit Kommissar Wächter, und erzähl ihm alles.«
Er schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich glaube, auch die Polizei wird Rudolf nichts Strafbares nachweisen können, er ist einfach zu gerissen.«
»Kann schon sein, ich teile deine Befürchtung. Aber versuchen musst du es.«
»Rudolf wird uns alle auslachen und in seinem Palazzo die Korken knallen lassen. Ich ahne es. Und mein Geld sehe ich ohnehin nie wieder.«
»Das kann man nicht wissen.«
Mark stützte die Ellbogen auf den Tisch, die Hände unter seinem Kinn, und dachte nach. Er zeigte keine Reaktion, als der Ober an den Tisch kam und Laura die Getränke bestellte. Nach einer Zeit, die ihr endlos lang vorkam, richtete er sich wieder auf.
»Okay, du hast Recht. Es gibt wohl keinen anderen Weg. Ich verspreche dir, dass ich Kommissar Wächter anrufen werde. Aber erst übermorgen, auf ein oder zwei Tage kommt es nun auch nicht mehr an. Jetzt fahren wir nach Venedig und besuchen deine Eltern.«
60
R udolf hatte sein Auto an dem Piazzale Roma geparkt. Im Motoscafo ließ er sich zu seinem Palazzo in Santa Croce bringen. Er stand im offenen Heck und erhoffte sich vom Fahrtwind eine kühlende Wirkung für sein Gesicht, das zu glühen schien. Er hatte keine Erinnerung mehr daran, wie er von Mossina zurück nach Venedig gekommen war. Welche Straßen er gefahren war, ob schnell oder langsam, mit viel Verkehr oder wenig? Ein totaler Blackout. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war der Schuss des Conte, der ihn von Mossina vertrieben hatte; von seinem Weingut, für das er einen unterschriebenen Kaufvertrag und bereits fünf Millionen Mark bezahlt hatte. Fünf Millionen Mark! In seinem Kopf hämmerte es. Was war passiert? Er hatte während des Fahrens immer wieder versucht, Dottor Luzzo oder Andrea Bianchi zu erreichen. Fehlanzeige. Die Telefonnummern schienen einfach nicht zu existieren. War er wirklich einem Schwindel aufgesessen? Er, Rudolf Krobat, mit allen Wassern gewaschen und im Zweifelsfall derjenige, der andere aufs Glatteis führte – nicht umgekehrt.
Das Motoscafo fuhr durch den Canal Grande. An der Chiesa degli Scalzi waren sie bereits vorbei, die unvollendete Fassade von San Marcuola tauchte auf, dahinter der Palazzo Vendramin-Calergi. Wie lange war es her, dass er hier an den Spieltischen gestanden hatte? Damals hatte er sich in ernsten Schwierigkeiten befunden. Rudolf schlug mit der Faust auf das polierte Mahagonidach der Kajüte. Was war in der Zwischenzeit alles geschehen? Alles hatte sich zum Besten gewendet. Und jetzt völlig unvorbereitet dieses Desaster mit dem Weingut. Es wollte ihm einfach nicht gelingen, seine Gedanken zu ordnen und sich über die weitere Vorgehensweise klar zu werden. Er sehnte seinen Palazzo herbei, die hohen, kühlen Räume, die Ruhe. Nur noch wenige Minuten, dann würde er zunächst einen Whisky hinunterschütten und sich dann aufs Sofa legen. Er brauchte jetzt einfach etwas Zeit, um wieder zur Besinnung zu kommen. Das Wassertaxi bog bei der Pescheria in den Rio delle Beccarie ein. Kurz darauf sprang er bei der Bootsanlegestelle seines Palazzo an Land. Sofort hatte er das Gefühl, das irgendetwas nicht stimmte. Die schweren Holztüren des Portals standen offen. Im Haus hörte er Geräusche und Stimmen. Rudolf stürmte in die Eingangshalle und stellte fest, dass alle Möbel und die schweren Teppiche fehlten. Auch die Bilder an der Wand waren abgehängt. Und der prächtige Leuchter aus Muranoglas war verschwunden. Auf der großen Treppe, die ins Piano nobile führte, kamen ihm Möbelpacker entgegen, die an ledernen Gurten eine Vitrine abtransportierten. Rudolf stellte sich ihnen in den Weg. »Alt, ferma, tornate indietro!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Questa è casa mia, sono il proprietario! Ich rufe sofort die Polizei.«
»Das können Sie sich sparen«, sagte jemand in seinem Rücken. Rudolf drehte sich wutentbrannt um. Wer wagte es, ihm zu widersprechen? Vor ihm standen zwei Männer in Uniform.
»Was soll das?«, brüllte er. »Sorgen Sie sofort dafür, dass meine Möbel wieder an ihren Platz zurückgebracht werden, und verlassen Sie umgehend mein Haus!« In der leeren Halle hatte seine
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