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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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Anwalt durch den Kopf. Rudolf Krobat, von kräftiger Statur, im grauen Seidenanzug, rosa Hemd, die Krawatte passend zum Einstecktuch. Eine goldene Rolexuhr rundete das Bild des erfolgreichen Geschäftsmanns ab. Und neben ihm Mark Hamilton in alten Jeans, schwarzem Polo, Tennisschuhen. Eine Uhr suchte Dr. Leuttner vergebens – was vielleicht eine weitere Erklärung für seine Unpünktlichkeit war. Braun gebrannt und mit zerzausten Haaren, lümmelte er auf seinem Stuhl.
    Dr. Leuttner kannte Mark nur aus Erzählungen seiner verstorbenen Klientin. Er hatte ihn im Unterschied zu seinem Halbbruder bislang nie persönlich gesehen. Nun, der erste Eindruck passte zu den Schilderungen von Ottilia Balkow. Mark schien in der Tat etwas unkonventionell zu sein. Dass er bei Frauen gut ankam, hatte Dr. Leuttner schon im verzückten Gesichtsausdruck seiner ansonsten eher muffigen Sekretärin bestätigt gefunden. Laut Ottilia Balkow war Mark außerordentlich kreativ und ein talentierter Modefotograf. Aber für den großen Durchbruch fehlte es ihm am nötigen Ehrgeiz.
    Rudolf Krobat dagegen war als Weinimporteur sehr erfolgreich. Seine Firma machte respektable Umsätze und ermöglichte ihm einen exklusiven Lebenswandel.
    Dr. Leuttner hüstelte und rückte seine Lesebrille zurecht. Mittlerweile hatte sich auch sein Assistent eingefunden. Es gab keinen Grund mehr, länger zu warten.
    »Nun, meine Herren, ich bedanke mich, dass Sie beide den Weg hierher gefunden haben«, begann Dr. Leuttner. »Als langjähriger Rechtsanwalt der verschiedenen Ottilia Balkow wurde ich von der Verstorbenen zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Da Sie die einzigen Nachkommen der Verstorbenen sind, kann es von dritter Seite keine Einwände am letzten Willen meiner Mandantin geben. Ich stelle fest, dass sich die beiden hier anwesenden Enkel der verstorbenen Ottilia Balkow ausgewiesen haben beziehungsweise mir persönlich bekannt sind.«
    Dr. Leuttner machte eine kurze Pause und warf einen Blick auf seine Besucher. Rudolf Krobat saß leicht vornübergebeugt und sah ihn konzentriert an. Mark Hamilton dagegen hatte ein Bein über die Seitenlehne seines Stuhls gelegt und schaute interessiert an die Zimmerdecke. Irritiert folgte Dr. Leuttner seinem Blick. So faszinierend war die Stuckatur doch nun wirklich nicht.
    Er nahm den Umschlag zur Hand. »Wir kommen also zur Eröffnung des Testaments, wobei ich hinzufügen möchte, dass mir der Inhalt bekannt ist. Die Testamentserstellung datiert vom Mai letzten Jahres und ist von mir und einem Anwaltskollegen beglaubigt. Das Testament ist im Tresor unserer Kanzlei aufbewahrt worden.« Dr. Leuttner griff nach einem Brieföffner, schlitzte bedächtig den Umschlag auf und entnahm ihm einen Briefbogen. Er hielt kurz inne, um dann zu beginnen: »Hiermit erkläre ich, Ottilia Balkow, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, meinen letzten Willen. Aus wohl überlegten Gründen, die ich nicht näher erläutern werde, vermache ich mein gesamtes Vermögen, meine Wertpapiere und Anlagen sowie mein Haus am Gardasee mit allem Inventar und inklusive meiner Kunstsammlung …« – Dr. Leuttner legte eine kurze, dramatische Pause ein. – »… Mark Hamilton!«
    Rudolf Krobat sah seinen Halbbruder verblüfft von der Seite an. Mark kommentierte den letzten Willen seiner Großmutter mit einem überraschten »Uupps!«
    Dr. Leuttner griff an den Bügel seiner Lesebrille. »Ich bin noch nicht fertig. Um im Testament fortzufahren: Ausgenommen von diesem Erbe an Mark Hamilton ist ein Ölgemälde mit einem Porträt meiner Tochter Patrizia, der Mutter meiner beiden Enkel, das ich Rudolf Krobat vermache und ihn bitte, es in Ehren zu halten. Außerdem bekommt Rudolf Krobat eine einmalige Zahlung von DM einhundertausend. Gezeichnet: Ottilia Balkow.« Dr. Leuttner räusperte sich. »Darüber hinaus gibt es zwei Nachträge. Erstens: Ich bitte meinen Enkel Mark Hamilton, das Haus am Gardasee nicht zu verkaufen, sondern es zu bewahren. Zweitens: Die derzeitige Bewohnerin der Einliegerwohnung, Laura Zanetti, erhält ein Gratiswohnrecht auf Lebenszeit.« Dr. Leuttner schraubte einen Füller auf und machte auf dem Testament einen Vermerk. »So, meine Herren, das war’s! Falls es noch irgendwelche Fragen gibt, werde ich gerne versuchen, sie zu beantworten.« Er lehnte sich zurück, nahm die Lesebrille ab und wartete gespannt auf die weiteren Reaktionen der beiden Enkel.
    Rudolf Krobat schien den letzten Willen seiner Großmutter mit Fassung zu

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