Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
aus und schnippte es in den Aschenbecher, der wie ein Roulette aussah, mit kleinen Nummernfächern in Schwarz und Rot und einem angedeuteten Drehkreuz in der Mitte.
»Ein Geschenk der Spielbank Baden-Baden, kaufen würde ich mir so etwas nicht«, erklärte der Anwalt.
»Das glaube ich Ihnen«, erwiderte Rudolf Krobat amüsiert und zog an seiner schlanken Davidoff. »Wie kommen Sie zu diesem bemerkenswerten Exemplar? Spielen Sie gelegentlich?«
»Gelegentlich, ja. Aber wirklich nicht sehr häufig und nur mit sehr bescheidenen Einsätzen. Etwas Roulette und Black Jack. Ein kleines Kontrastprogramm zu der allzu nüchternen Welt der Gesetze und Paragrafen.« Dr. Leuttner räusperte sich verlegen und beschloss, sich unmittelbar nach diesem Termin von diesem Aschenbecher zu trennen. Irgendwie wollte er nicht zu dem Bild eines seriösen Anwalts passen. Er sah seinen Besucher an. »Was ist mit Ihnen? Als wohlhabender Mann, der, wie es scheint, den schönen Dingen des Lebens zugetan ist, gehören die berühmten Spielkasinos von Monte Carlo bis Bad Homburg doch sicher zu Ihrer Welt? Oder?«
Rudolf Krobat lächelte. »Nein, da muss ich Sie enttäuschen. So gut wie gar nicht. Den schönen Dingen des Lebens bin ich schon zugetan, da haben Sie gewiss Recht, aber Spielkasinos zählen nicht dazu. Außer sie beziehen Weine von mir, dann natürlich schon. Ich bevorzuge andere Freuden. Schöne Frauen zum Beispiel, teure Autos und alte Rotweine. Letzteres hat übrigens auch etwas von einem Glücksspiel an sich. Ich will damit sagen, dass man nicht immer weiß, wie Weine die Jahrzehnte überdauert haben. Das Entkorken steckt voller Risiken und birgt eine unermessliche Spannung.« Rudolf Krobat sah auf die Uhr. »Es ist zwar sehr kurzweilig, mit Ihnen zu plaudern, aber denken Sie nicht, wir sollten langsam anfangen?«
Dr. Leuttner legte die Stirn in Falten und betrachtete aufmerksam seinen Siegelring, als ob ihm dieser bei der Entscheidung helfen könnte. Ottilia Balkows Rechtsanwalt gab sich einen Ruck. »Sie haben Recht. Obwohl, ich hätte Herrn Hamilton gerne dabeigehabt.«
»Ich auch, das können Sie mir glauben. Aber seine An- oder Abwesenheit ändert wohl nichts am Ergebnis«, stellte Rudolf Krobat fest.
Dr. Leuttners Gesicht zeigte den Anflug eines Lächelns. »Nein, das tut es nicht. Doch er hat mich vor zwei Stunden angerufen und gesagt, er nehme den Termin wahr.« Der Anwalt rückte den braunen Umschlag auf dem Schreibtisch zurecht. »Und ich glaube, die Verstorbene hätte es sich gewünscht, dass zur Testamentseröffnung ihre beiden Enkel zugegen sind.«
»Ja, das hätte sie sich wohl gewünscht«, bestätigte Rudolf Krobat. »Aber sie kannte auch den, sagen wir mal, unsteten Charakter von Mark. Wahrscheinlich hätte sie Verständnis dafür, dass wir irgendwann mit dem Warten aufhören. Bei Mark kann man nie sicher sein. Vielleicht ist ihm auf dem Weg hierher eine schöne Frau begegnet, und dabei ist ihm völlig entfallen, dass er sich eigentlich mit uns treffen wollte.«
Dr. Leuttner nickte. »Nun, angesichts dieser Unwägbarkeiten und in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit lassen Sie uns beginnen. Ich bitte nur noch meinen Assistenten hinzu.«
Dr. Leuttner wollte gerade auf die Sprechtaste seiner Telefonanlage drücken, da hörte er im Vorzimmer Stimmen, dann Gelächter. Kurz darauf klopfte es, und die Tür wurde geöffnet. Dr. Leuttners Sekretärin kündigte Mark Hamilton an. Seltsam, dachte Dr. Leuttner, so strahlend habe ich meine Sekretärin noch nie lächeln sehen. Der Rechtsanwalt stand auf, um den Besucher zu begrüßen. Mark kam rückwärts durch die Tür, offenbar um sich noch von der Sekretärin zu verabschieden, drehte sich dann um, ging auf Dr. Leuttner zu, schüttelte ihm die Hand und entschuldigte sich für seine Verspätung. Aber er habe sich zunächst verfahren und dann keinen Parkplatz gefunden. Anschließend begrüßte Mark Rudolf, der sich sichtlich freute, seinen missratenen Halbbruder wieder zu sehen. Beide hatten gestern lange miteinander telefoniert und über den Tod ihrer gemeinsamen Großmutter gesprochen.
»Schade, ich hätte dich gern aus einem erfreulicheren Anlass getroffen«, stellte Mark fest. Er zog seine dünne Lederjacke aus und ließ sich auf den Stuhl neben Rudolf fallen.
Dr. Leuttner betrachtete seine beiden Besucher über den Rand seiner halbrunden Lesebrille, die er gerade aufgesetzt hatte. Allzu viel haben die beiden wirklich nicht miteinander gemeinsam, ging dem
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