Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
nehmen. Jedenfalls beugte er sich zu seinem Halbbruder und reichte ihm seine Hand. »Gratuliere, Mark, das hast du zwar nicht verdient, aber ich gönne es dir. Machs Beste draus. Du kannst das Geld wahrscheinlich eher brauchen als ich. Das jedenfalls wird sich die alte Dame wohl dabei gedacht haben!«
Mark schlug grinsend auf Rudolfs Handfläche. »Danke, alter Knabe. Keine Ahnung, was sich Grandma Ottilia bei diesem Blödsinn gedacht hat. Spenden hätte sie ihre Kohle sollen oder wenigstens fifty-fifty unter uns aufteilen. Unsere Großmutter ist offenbar über ihren Tod hinaus für Überraschungen gut. Wahrscheinlich sitzt sie jetzt auf einer Wolke und lacht sich ins Fäustchen.«
»Zuzutrauen wäre es ihr«, entgegnete Rudolf, »aber ich finde es in Ordnung, dass sie ihr Vermögen nicht an irgendeine anonyme Organisation gespendet hat, bei der es dann auf Nimmerwiedersehen versickert und nur einige Funktionäre glücklich macht. Vermögen sollte in der Familie bleiben. Und das ist es nun auch. Zugegeben, ein bisschen anders als erwartet, aber immerhin.«
Dr. Leuttner gestand sich ein, dass Rudolf Krobats Verhalten absolut untadelig und ausgesprochen souverän war. Obwohl er zweifellos enttäuscht sein musste, ließ er es sich kaum anmerken.
»He, das ist mir fast peinlich«, erwiderte Mark. »Aber immerhin kriegst du das Bild. Ich liebe es, mein Vater hat es gemalt. Und hunderttausend Mark sind ja auch nicht schlecht. Wahrscheinlich bleibt für mich überhaupt nichts mehr übrig.« Mark lächelte. »Doch dafür hab ich eine Untermieterin im Haus, wahrscheinlich so eine alte, vertrocknete Zwetschge, mit der Grandma Bridge gespielt hat und die jetzt nächtens völlig irr durchs Haus geistert und mich in den Wahnsinn treibt.«
Rudolf Krobat warf Dr. Leuttner einen verschwörerischen Blick zu. »Ich hatte Gelegenheit, deine Untermieterin kennen zu lernen.«
»Und?« Mark zog die Augenbrauen fragend nach oben.
»Deine Beschreibung kommt der Realität ziemlich nahe. Lass dich überraschen.«
»Oh my God, ich hab’s geahnt.« Mark raufte sich die Haare. »Und, wie sieht’s aus, Dr. Leuttner, bleiben noch ein paar Mark übrig, um jemanden fürs Rasenmähen zu bezahlen?«
»Ich denke, den Unterhalt des Hauses werden Sie sich leisten können. Das Depotvermögen der Verstorbenen, das auf Sie übertragen wird, beläuft sich nach Abzug der gesetzlichen Erbschaftssteuer und der einhunderttausend Mark an Herrn Krobat auf etwa neun Millionen Mark beziehungsweise rund viereinhalb Millionen Euro.«
Mehr als ein erneutes »Uupps« fiel Mark dazu nicht ein.
»Nicht schlecht, mein Kleiner«, kommentierte Rudolf Krobat. »Willkommen im Klub der Millionäre!«
14
M ark rannte von seinem geparkten Auto zum Hauseingang in der Kensington Road. Schon nach wenigen Metern hatte ihn der starke Regen völlig durchnässt. Er setzte im Sprung über eine Pfütze, rutschte aus und wäre fast zu Fall gekommen. Mit der rechten Hand hielt er den Hals einer Champagnerflasche umklammert, in der linken hatte er einen Blumenstrauß. Gleich hatte er es geschafft. Wie auf Bestellung öffnete sich die grüne Eingangstür, ein älterer Herr brachte seinen Regenschirm in Stellung. Mark schlitterte zu ihm in den Hauseingang. »Thank you for opening the door. Lovely weather today, isn’t it?«
Er stellte die Flasche ab, schüttelte seinen Kopf wie ein gebadeter Hund und fuhr sich mit der freien Hand durch die nassen Haare.
»Well, it could be worse«, erwiderte der Herr mit britischem Gleichmut und trat beherzt ins Freie. Mark dachte an die möglichen Alternativen, an Schneetreiben, klirrenden Frost, orkanartige Stürme und dergleichen. Ja, in der Tat, das Wetter könnte noch schlechter sein. Was zwar im Frühsommer nicht allzu wahrscheinlich war, aber theoretisch immerhin möglich. Jedenfalls hatte der Gardasee klimatisch gewiss seine Vorzüge.
Mark hob die Flasche wieder vom Boden auf und fuhr mit dem altertümlichen Lift in den dritten Stock. Er klingelte, es dauerte eine Weile, bis Norma öffnete. Mark hielt sowohl den Blumenstrauß als auch die Flasche hinter dem Rücken versteckt.
»Wie schaust du denn aus?«, begrüßte ihn Norma lachend.
»Ich habe nur noch rasch geduscht.«
»Verstehe. Komm rein, ich stelle dir ein Badetuch zum Abtrocknen zur Verfügung.«
Mark brachte den Strauß Blumen zum Vorschein. »Für dich, weil ich dir immer so viel Kummer bereite.«
Norma war sichtlich überrascht. In all den Jahren ihrer
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