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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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vorsichtshalber genau gemacht, was mir gesagt wurde.«
    »Richtig. Ich schlage vor, Sie holen mich hier bei der Brücke ab, und wir fahren zusammen zurück zum Haus. Dort warten wir dann in aller Ruhe ab.«
    »Bleibt uns ja kaum was anderes übrig. Einverstanden, ich bin in zehn Minuten da.«
    »Bis gleich.«
    Wächter drückte auf die Taste mit dem roten Hörer und steckte das Handy in die Jackentasche. Hoffentlich habe ich Recht, dachte er. Jedenfalls was den Punkt betrifft, dass die Entführer Mark Hamilton freilassen.

24
    M ark Hamilton hatte die Augen geschlossen und versuchte leicht schwankend die Balance zu halten. Als Kind konnte er ewig auf dem Kopf stehen. Einmal war er dabei sogar eingeschlafen und in die Farbpalette seines Vaters gekippt. Er hörte, wie die Stahltür entriegelt wurde, öffnete die Augen und sah ein Paar Turnschuhe auf sich zukommen. Vor seinem Gesicht baumelte die ihm schon bekannte Schwimmbrille mit den schwarzen Gläsern. Mark beendete den Kopfstand, nickte seinem maskierten Besucher verständnisvoll zu und setzte die Brille auf.
    »Okay, Lorenzo, ich kann dich nicht mehr sehen.« Mark wedelte mit der rechten Hand vor seinem Gesicht.
    »Andiamo«, hörte er seinen Aufseher sagen. Lorenzo fesselte ihm die Hände hinter dem Rücken, nahm ihn am Oberarm und führte ihn die Treppe hinauf. Während Mark vorsichtig eine Stufe nach der anderen nahm, spekulierte er über den Sinn und Zweck dieses Ausflugs. Wollten ihn seine Entführer umbringen, dann hätten sie das bequem im Keller erledigen können. So schlecht standen seine Chancen vielleicht gar nicht. Mark hörte, wie sich vor ihm eine Tür öffnete. Er spürte einen leichten Windzug im Gesicht. Sie waren im Freien. Er atmete tief ein. Es roch nach Flieder. Jetzt ging es einige Stufen hinab. Eins, zwei, drei, vier. Unter seinen Füßen schepperte ein Gitter. Zwei Schritte, Kies. Er stieß mit dem rechten Schienbein gegen ein Hindernis. Lorenzo zog ihn zur anderen Seite. Mark bekam einen Stoß und krachte auf die Ladefläche eines Transporters. Zwei Türen fielen ins Schloss. Der Motor sprang an, und das Auto fuhr los. Das Klappern von Flaschen bestätigte ihn in der Annahme, dass er wieder im selben Auto lag wie in der Nacht seiner Entführung. Zweige schrammten am Fahrzeug entlang. Es folgte eine Bodenwelle. Das Auto bog nach rechts und beschleunigte. Offenbar befanden sie sich jetzt auf einer geteerten Straße.
    Mark begann leise zu zählen. Von eins bis sechzig. Eine Minute. Erneut von eins bis sechzig. Schön langsam und gleichmäßig. Es musste doch möglich sein, in etwa die Zeit abzuschätzen. Die Zeit bis zu welchem Ereignis? Ja, das war wohl die entscheidende Frage. Bis zu seiner Freilassung? Hatte Dr. Leuttner gezahlt? Hoffentlich! Dann war er zwar um achteinhalb Millionen ärmer. Aber was soll’s? Sein Leben war ihm mehr wert. Achtundfünfzig, neunundfünfzig, sechzig. Fünfundzwanzig Minuten! Eins, zwei …
    Der Lieferwagen bremste ab und kam zum Stehen. Mark glaubte zwar nicht an Gott, aber er dachte, dass es in dieser Situation nicht schaden konnte zu beten. Die Hecktür wurde geöffnet. Mark wurde aus dem Wagen gezerrt. Ein mächtiger Schubs, er stürzte nach vorne. Bitte lass hier keinen Abgrund folgen! Mark überschlug sich. Er spürte Blätter im Gesicht. Die Landung war hart – aber wunderbar. Kein Abgrund! Er lebte! Zwischen den Lippen hatte er Grasbüschel. Welch unvergleichlicher Genuss. Türen schlugen zu. Der Transporter fuhr los, das Motorengeräusch wurde leiser, immer leiser …
    Auf dem Bauch liegend und die Hände hinter dem Rücken gefesselt, suchte Mark mit dem Kopf nach einem Widerstand. War das ein großer Stein? Er schabte mit dem Gesicht an ihm entlang. Die Schwimmbrille rutschte ihm über die Stirn, er gehörte wieder zu den Sehenden. Er stellte fest, dass er am Fuß einer Böschung auf einer Wiese lag, vor ihm zeichneten sich im Dunkel der Nacht die Silhouetten einiger Bäume ab. Der Stein erwies sich als ein alter, verwitterter Markierungsposten. Mark rollte sich auf den Rücken und sah hinauf zum funkelnden Sternenhimmel. Hatte er jemals etwas so Schönes und Erhabenes gesehen? Einige Minuten lag er einfach da – erleichtert, zufrieden, glücklich.
    Schließlich rappelte er sich auf die Beine und erklomm den kleinen Hang zur Straße. Alles gar nicht so leicht mit hinterrücks gefesselten Händen. Er kam sich vor wie ein unbeholfener Frosch. Oben angelangt, sah er sich erst mal um. Die Straße

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