Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
romantischer formulieren?«, sagte Laura mit gespieltem Vorwurf in der Stimme.
»Okay, okay, wie sagt ihr in Italien? Amore, ja, lass uns auf unsere Amore anstoßen!«
»Schon besser«, erwiderte Laura lachend.
Der Korken flog mit einem Knall durchs Zimmer, landete auf dem Schachbrett seiner Großmutter und schlug eine Schneise durch die aufgestellten Figuren.
»Sorry, Grandma«, entschuldigte sich Mark, »ich stell die Kameraden nachher wieder auf.«
Mark füllte die Gläser. »Es lebe die Freiheit! Cheers!«
»Viva la libertà, salute!«
»Ich hab ja auch teuer dafür bezahlt. Die haben mich wohl mit einem Rockefeller oder Getty verwechselt.«
»Immerhin haben sie dir kein Ohr abgeschnitten.«
»Ja, immerhin, sehr rücksichtsvoll. Jedenfalls bin ich jetzt fast so pleite wie vor meiner Erbschaft.«
»Aber du hast ja noch das Haus.«
»Ja, und eine Untermieterin, die laut Testament keine Miete bezahlen muss.«
»Das können wir ändern. Ich brauch’ die Wohnung nicht mehr, ich schlaf jetzt beim Hausherrn. Du kannst sie anderweitig vermieten.«
Mark legte die Stirn in Falten. »Das ist zu riskant, dann kann ich dich nicht mehr so einfach rauswerfen.«
»Was bist du doch für ein Ekel. Ich denke, du hast Recht, ich behalte die Wohnung. Wahrscheinlich werde ich deiner sowieso bald überdrüssig.«
»Musst du immer gleich so hart und erbarmungslos zurückschlagen?«, fragte Mark lachend.
»Ja, muss ich.« Laura warf den Kopf in den Nacken. »Du hast es hier mit einer stolzen italienischen Frau zu tun. Wir sind es gewohnt, dass man um unsere Gunst bettelt. Früher hat man sich um uns noch duelliert.« Laura deutete hinüber zum Schachbrett mit den umgestürzten Figuren. »Weißt du noch, wie der Ort heißt, wo dich vorgestern Nacht der Pastor abgeliefert hat?«
»Klar weiß ich das. Marostica hieß der Ort, richtig? Aber was hat das mit dem Schachbrett oder mit dem Werben um eine schöne Frau zu tun? Außerdem habe ich diese Phase schon längst hinter mir. Ich hab dich ja bereits erobert. Ging übrigens relativ schnell.«
»Bilde dir darauf nur nichts ein. Ich hatte eine schwache Minute. Du musst immer wieder aufs Neue um meine Gunst werben!«
»Ganz schön stressig.«
»Um noch einmal auf Marostica zu kommen. In diesem mittelalterlichen Städtchen gibt es die Piazza Castello, in die ein großes Schachbrett eingelassen ist. Alle zwei Jahre findet dort ein historisches Schachturnier mit lebenden Figuren statt. Bei der Partita a Scacchi wird einer Legende gedacht, bei der es um Liebe geht.«
»Hat sich der schwarze König in die weiße Dame verliebt und mit ihr Hand in Hand das Schachbrett verlassen?«
»Nein, das ist eine wirklich herzergreifende Geschichte, ich erzähl sie dir in Kurzform. Es waren einmal zwei Ritter, Rinaldo di Angarano und Vieri di Vallonara, die verliebten sich beide in die wunderschöne Prinzessin Lionora aus Marostica. Und weil keiner sie dem anderen überlassen wollte, schien ein Duell unausweichlich. Nun war die schöne Lionora Tochter eines berühmten Heerführers mit Namen Taddeo Parisio. Dieser Parisio war jedoch nicht nur ein Mann der Waffen, sondern auch ein Kulturmensch. Und so entschied er, dass die Kontrahenten nicht mit Schwertern, sondern mittels einer Schachpartie um die Gunst seiner Tochter streiten sollten. 1454 fand dieses Duell in Marostica auf dem Platz vor dem Schloss statt. Mit Menschen als Schachfiguren, mit Kostümen und Pferden.«
»Ich bin ein lausiger Schachspieler, die schöne Prinzessin hätte auf mich verzichten müssen.«
»Siehst du, so schnell kann’s gehen. Vallonara hat die Partie und damit die Hand der Braut gewonnen.«
»Okay, dann bin ich wohl der andere. Was ist aus dem geworden? Hat man ihm den Kopf abgehackt?«
Laura zögerte. »Diesen Teil der Geschichte wollte ich eigentlich für mich behalten. Der bringt dich nur auf dumme Gedanken.«
»Also, sag schon.«
»Nun, Angarano bekam zum Trost Lionoras jüngere Schwester.«
Mark schlug sich begeistert auf den Schenkel. »Super. Und? Hast du eine jüngere Schwester?«
»Nein, nur zwei ältere Brüder.«
»So ein Pech.«
Laura lächelte triumphierend. »Scaccomatto, Schachmatt!«
Am späten Nachmittag wartete sie im Flur des Hauses auf Mark. Sie wollten hinunter zum See fahren und – wie Laura sich ausdrückte – eine
passeggiata sul lungolago
machen. Was nach ihrer Vorstellung so aussah, dass man an einer Uferpromenade entlangschlenderte, Zeitungen kaufte, in Schaufenster
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