Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Beifahrersitz neben die große Ledertasche mit dem Lösegeld und konzentrierte sich erneut auf die Straße.
Kommissar Wächter hatte das Gespräch mitgehört. Er saß in einem Zivilfahrzeug der italienischen Kriminalpolizei. Commissario Sanabotti schrie aufgeregt in ein Sprechfunkgerät. Sie hielten einen Abstand von ungefähr zwei Kilometern zu Rudolf Krobats Fahrzeug. Einige Minuten hinter ihnen folgte eine ganze Armada von Polizeifahrzeugen. Auch die beiden Hubschrauber waren in der Luft.
»Folgen Sie dem Schild Villafranca di Verona.«
Kommissar Wächter leuchtete auf die Landkarte, die er auf dem Schoß liegen hatte. Die italienischen Kollegen brauchten diese Hilfe nicht. Einige Polizeiwagen scherten aus der nachfolgenden Kolonne aus, wendeten und jagten mit Blaulicht über Nebenstraßen nach Süden.
Bald wurden die nächsten Anweisungen durchgegeben. Über eine halbe Stunde lotsten die Entführer Rudolf Krobat kreuz und quer übers Land. Der italienischen Einsatzleitung fiel es immer schwerer, die Polizeifahrzeuge so zu steuern, dass sie sich nicht mit dem BMW von Rudolf Krobat ins Gehege kamen.
Als sie durch Borghetto fuhren, stöhnte Commissario Sanabotti. »Was würde ich dafür geben, jetzt gemütlich in der Antica Locanda Mincio sitzen zu können? Bei einem Glas Valpolicella, vor mir einen Teller
Tortelli di zucca
, danach eine
Trota salmonata
…«
Wächter musste lächeln. Ganz offensichtlich ging seinem italienischen Kollegen die Verfolgungsfahrt gehörig auf den Geist. Aber er musste zugeben, dass er Sanabotti in dieser Locanda gerne Gesellschaft geleistet hätte.
Sie überquerten auf einem mittelalterlichen Damm den Fluss Mincio, der den Gardasee mit dem Po verbindet. Die Visconti hatten das mächtige Bauwerk Ende des 14. Jahrhunderts errichtet, um den Mincio aufzustauen und damit dem südlicher gelegenen Mantua das Wasser abzugraben.
Die Fahrt ging am Skaligerkastell hinauf nach Valeggio und von dort auf die Straße nach Villafranca. Sie ließen sich Zeit, um nicht zu dicht auf Rudolf Krobat aufzurücken. Die Straße führte jetzt schnurgerade durch weitläufige Obstplantagen.
»Wo sind Sie?«, hörten sie im Polizeiwagen den Entführer fragen.
»Zwischen Valeggio und Villafranca. Rechts war gerade eine Werbetafel, auf der irgendetwas mit Alfa Romeo stand«, antwortete Rudolf Krobat.
»Fahren Sie weiter, aber machen Sie langsamer.«
»Langsamer, in Ordnung.«
»Sind Sie alleine auf der Straße? Sehen Sie ein anderes Auto oder irgendeinen Menschen?«
»Nein, niemanden!«
»Blinken Sie einmal kurz mit dem Fernlicht!«
»Okay. Ich blinke.«
Kommissar Wächter stellte fest, dass Rudolf Krobat ausgesprochen gute Nerven hatte. Ohne Protest, geduldig und mit ruhiger Stimme folgte er allen Anweisungen.
»Va bene, gleich kommt ein Bauernhof, danach eine scharfe Rechtskurve und eine Brücke. Auf dieser Brücke bleiben Sie rechts möglichst dicht an der Steinmauer stehen.«
»Verstanden, am Bauernhof bin ich bereits vorbei. Ich sehe jetzt ein Schild, das auf die Kurve hinweist. Ich fahr ganz langsam. Jawohl, hier ist die Brücke. So, ich habe angehalten. Was nun?«
»Öffnen Sie das rechte Seitenfenster, und werfen Sie die Tasche mit dem Lösegeld über die Mauer.«
»Ich weiß nicht, ob die Tasche durch das Fenster passt?«
»Probieren Sie es!«
»Augenblick, ich muss das Handy erst weglegen.«
Das Fahrzeug mit Wächter und Sanabotti war bei einer verwaisten Bushaltestelle stehen geblieben. Der Abstand zur Kurve betrug keinen Kilometer. Commissario Sanabotti kämpfte mit den Tücken des Sprechfunkgeräts. Hinter ihnen stoppte ein Fahrzeug mit Beamten der Antiterroreinheit.
»Ich bin wieder da. Die Tasche hat durchgepasst. Ich habe sie über die Mauer fallen lassen. Und nun?«
»Jetzt fahren Sie wieder los, durch Villafranca Richtung Isola. Geben Sie Gas. Mindestens zehn Minuten. Dann können Sie tun und lassen, was Sie wollen.«
»Und mein Bruder?«
»Sobald wir das Lösegeld haben und in Sicherheit sind, kommt er frei! Das war’s, Ende der Vorstellung.«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Nach einer kurzen Pause meldete sich Rudolf Krobat. »Kommissar Wächter, können Sie mich hören?«
»Ja, kann ich, gut gemacht. Tun Sie, was man Ihnen gesagt hat! Nachher werden wir zusammen eine Grappa trinken.«
»Erst wenn Mark auf freiem Fuß ist.«
»In Ordnung!«
Die Einsatzfahrzeuge begannen im Abstand von einigen Kilometern einen großen Kreis um die Brücke zu ziehen,
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