Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Pferdefleisch in Öl und Zitrone, schmeckte aber besser als erwartet. Nach dem folgenden
Risotto all’amarone
, das ebenso vorzüglich wie mächtig war, bestellte Wächter eine Runde Grappa. Wenn das so weitergehe, könne man ihn wie eine Kugel über den Brenner rollen, meinte er. Nichtsdestoweniger stellten sie sich nach einer kurzen Pause der Herausforderung eines
Costolette di agnello alla griglia con pesto di rucola
. Sie taten dies nicht nur aus Höflichkeit gegenüber ihrem Gastgeber. Als sich aber Sanabotti anschickte, ein Dessert zu ordern, winkten sie erschöpft ab. Außerdem erinnerte Wächter daran, dass der Zug nach München bald abfahren würde. Sie müssten also wohl oder übel dieses bacchantische Gelage abbrechen. Und sicher warte doch auf Sanabottis Schreibtisch eine Menge Arbeit. Mark fielen bei dieser Bemerkung von Wächter all die Bleistifte und der Spitzer ein.
Nachdem sie die Bottega verlassen hatten, brachte Sanabotti seinen deutschen Kollegen zum Bahnhof. Mark bummelte ziellos durch Veronas Altstadt. Er hatte seine Kamera dabei und machte einige Aufnahmen. Die touristischen Motive ignorierte er geflissentlich. Seiner Vorliebe für ausgefallene Sujets folgend, fotografierte er heute zur Abwechslung mal nur Füße von Passanten. Dass er auf seine Mitmenschen reichlich irritierend wirkte, störte ihn nicht. Mit seinen Gedanken war er ohnehin ganz woanders. Ob man seine Entführer je fassen würde? Trotz der Versprechen von Hauptkommissar Wächter hatte er da so seine Zweifel. Und der heutige Termin hatte kaum dazu beigetragen, diese zu mindern. Es blieb nun mal ein Faktum, dass die Entführung reibungslos abgelaufen war. Pannen hatte es dabei auf Seiten der Entführer keine gegeben, schon eher bei der Polizei. Kein Telefongespräch konnte zurückverfolgt werden. Die Geldübergabe war perfekt über die Bühne gegangen. Und er selbst hatte während seiner Entführung keine einzige Beobachtung gemacht, die die Polizei wirklich weiterbringen würde. Das hatte sich erst heute wieder herausgestellt. Und die Bronzefiguren? Er war sich sicher, dass diese ihnen auch nicht helfen würden.
Mittlerweile war Mark auf dem für Autos gesperrten Ponte Pietra angelangt, jener Brücke über die Etsch, die schon von den Römern erbaut worden war. Er schaute durch den Sucher seiner Kamera. Ohne eine Aufnahme zu machen, schwenkte er vom weiß schäumenden Wasser der Etsch über die Uferstraße zu den malerischen Colle di San Pietro. Hinter den hohen Zypressen war die Galerie des römischen Theaters zu sehen, darüber die Zinnen eines österreichischen Kastells. Hier soll im 6. Jahrhundert die legendäre Burg von Theoderich gestanden haben, dem König der Ostgoten, der auf römischem Boden ein germanisches Reich errichtet hatte und als Dietrich von Bern in der Heldensage weiterlebte. Mark führte die Kamera nach links an der Kirche Santo Stefano vorbei zur Kuppel von San Giorgio in Braida. Auf einer Sandbank entdeckte er einen einsamen Angler. Mark legte die Kamera auf die Steinmauer der Brücke und schaute auf die Uhr. Es wurde Zeit, an den Gardasee zurückzufahren, wo Laura im Haus auf ihn wartete. Vorher musste er allerdings noch etwas organisieren. Er konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. Auf Lauras Reaktion war er jedenfalls schon jetzt sehr gespannt.
28
L aura verabschiedete sich früh am Morgen von Mark, der noch verschlafen im Bett lag. Sie musste zunächst zu einem Kunstprofessor in Verona, der mit ihr über ein Studienprojekt reden wollte, und kurz nach Mittag würde sie dann in Vicenza eine amerikanische Reisegruppe übernehmen, die
The Best of Veneto
gebucht hatte, eine mehrtägige Reise mit den Höhepunkten Venetiens von Vicenza über Padua nach Venedig. Sie würden sich also erst Ende der Woche wiedersehen. Mark zeigte sich zuversichtlich, dass er diese Zeit gut überstehen würde, gab Laura einen Abschiedskuss, wünschte ihr eine gute Fahrt und verkroch sich wieder unter die Bettdecke. Laura war etwas enttäuscht, dass Mark die bevorstehende Trennung fast gleichgültig hinzunehmen schien.
Wenige Stunden später stand der Reisebus mit laufendem Motor vor der Villa Michelangelo, ein Hotel in herrlicher Panoramalage auf den Colli Berici in Arcugnano bei Vicenza. Die Touristen hatten bereits ihre Plätze eingenommen. Laura rannte aus dem Hotel, drehte noch einmal um, weil ihr der Portier hinterherrief, nahm schnell die Liste mit den Namen der Reiseteilnehmer entgegen und kam
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