Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
sagen, bei der Ehre meiner Mutter.«
»Du bist ein braver Junge. Ich hoffe für dich, dass deine Mutter eine ehrenhafte Frau ist.«
30
D ie beiden angejahrten Damen, die lilafarbene Jogginghosen trugen, hatten Mark in ihr Herz geschlossen. Mit geröteten Gesichtern saßen sie in Vicenza auf der Terrasse des Gran Caffè Garibaldi und himmelten ihren Begleiter an. Die an der mittelalterlichen Piazza dei Signori gegenübergelegene Basilika mit den berühmten Loggien von Palladio hatten sie im Rahmen ihres Sightseeing-Programms bereits absolviert. Der Kultur war vorläufig Genüge getan. Aus dem Caffè bahnte sich ein Ober, ein kleines rundes Tablett balancierend, mit elegantem Hüftschwung seinen Weg durch die Tische. Mark erzählte gerade die Pointe eines Witzes. Die Ladys aus Chicago quietschten vor Vergnügen. Bill, der die ausgelassene Runde am Tisch vervollständigte, schlug sich begeistert auf den prallen Oberschenkel. »That’s crazy, really, you’re great!« Dabei prustete er wie ein aufgetauchtes Nilpferd. Der Ober, mit schwarzer Weste und Schleife im Hemd, war bereits am Tisch angelangt und warf einen indignierten Blick auf seine undisziplinierten Gäste. Mit hochgezogenen Augenbrauen fragte er: »Posso servire?« Irgendwie schien er aus einer anderen Welt. Das Tablett schwebte auf drei Fingern über seinem sorgfältig gescheitelten Haupt. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf ihn.
»Naturalmente«, antwortete Mark.
Mit einer routinierten kreisförmigen Bewegung brachte der Ober das Tablett auf Servierhöhe. Bill faltete die Hände und sah ihm aufmerksam zu, wie er für die Damen die Eiskelche
Garibaldi
und für die Herren
birra alla spina
auf den Tisch beförderte. Kaum war der Ober wieder tänzelnd im Caffè verschwunden, stand Bill auf und spielte die vorausgegangene Szene pantomimisch nach. Die Persönlichkeitsveränderung war verblüffend. Ungeachtet seiner Leibesfülle bewegte er sich mit südländischer Eleganz und lockerer Hüfte. Man sah förmlich das Tablett auf seinen gespreizten Fingern. Empört warf Bill einen Blick auf den Tisch und zog die Augenbrauen nach oben. Sein »Posso servire?« war im Tonfall sogar noch eine Idee herablassender. Bei den angrenzenden Tischen, an denen die restliche Reisegruppe und auch Laura saßen, löste Bills schauspielerische Einlage Gelächter und Applaus aus. Bill quittierte dies mit einer scheuen Handbewegung und einem kurzen Tanzschritt. Ein gehauchtes »I love you«, und schon hatte er sich in Michael Jackson verwandelt. Wie Mark und Laura später erfuhren, war Bill ein in Amerika ziemlich bekannter Komödiant, der sogar eine eigene Fernsehshow hatte. Seine spontanen Sketche sollten fortan zum festen Repertoire dieser Reisegruppe gehören.
Mark hatte sich vorgenommen, am Nachmittag nur noch das Teatro Olimpico mit der Reisegruppe zu besuchen. Dieses weltberühmte Theater von Palladio mit seiner perspektivischen Bühnenarchitektur interessierte ihn. Danach würde er sich bis zum frühen Abend aus dem Programm ausklinken, alleine durch die mittelalterliche Altstadt streifen und fotografieren. Die Basilika Santa Corona, die Franziskanerkirche San Lorenzo und der Dom Santa Maria Maggiore würden sein Fernbleiben gewiss entschuldigen.
31
E s war spätabends des nächsten Tages, als Mark und Laura durch die Laubengänge von Padua schlenderten. Erschöpft vom straffen Programm, war die Reisegruppe im Hotel Majestic Toscanelli bereits zu Bett gegangen. Den Dom Santa Maria Assunta und das Baptisterium hatten sie im Laufe des Tages besichtigt, das Museo Civico Eremitani, die angrenzende Arenakapelle mit dem weltberühmten Freskenzyklus von Giotto und die Universität, die nach dem Wirtshaus zum Ochsen, das im 15. Jahrhundert dem Universitätsbau weichen musste, Il Bò genannt wird. Das Katheder, an dem Galilei lehrte, hatte ebenso zur Führung gehört wie das Teatro Anatomico, der älteste Anatomiesaal der Welt. Beim Besuch der Basilika Sant’Antonio hatte Laura vom heiligen Antonius berichtet, der in Padua einfach Il Santo genannt wird und der Schutzpatron all jener ist, die etwas verloren haben. Und natürlich hatte Laura die berühmte Geschichte erzählt, dass Padua die einzige Stadt auf der Welt sei, die eine Wiese ohne Gras habe, einen Ochsen ohne Hörner, einen Heiligen ohne Namen und ein Café ohne Türen. Die Wiese ohne Gras war der große gepflasterte Platz Prato (Wiese) della Valle. Mit dem Ochsen war der Spitzname der Universität gemeint. Der
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