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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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schließlich atemlos im Bus an. Sie legte ihre Unterlagen aufs Armaturenbrett, verstaute ihre Reisetasche in der Gepäckablage, fuhr sich kurz durch die Haare, nahm das Mikrofon und begrüßte die Gäste: »Hallo everybody, my name is Laura and I welcome you on our tour from Vicenza to Venice. I am very sorry for my delay …«
    Nach ihren einführenden Worten und nachdem sie kurz das Programm für die nächsten Tage erläutert hatte, gab sie dem Fahrer ein Zeichen. Fauchend schlossen sich die Drucklufttüren, und der Bus setzte sich in Bewegung. Bis zu ihrem ersten Ziel, der historischen Villa Valmarana mit einem Freskenzyklus von Giambattista Tiepolo und seinem Sohn Giandomenico, war es zwar nicht weit, aber die Zeit sollte reichen, alle Teilnehmer ihrer Gruppe einzeln zu begrüßen. Laura lief durch den Gang, schüttelte Hände, machte kleine Scherze und fand die üblichen Worte, wie sie von amerikanischen Gästen erwartet werden: »Nice to have you here, we are Going to have a great day, you got a nice suntan, beautiful, I love your hat …« Als sie schließlich hinten ankam, musste sie sich festhalten – und dies nicht nur, weil der Bus gerade um eine Kurve fuhr. Entgeistert starrte sie den Gast an, der es sich als Einziger in der letzten Reihe bequem gemacht hatte, mit hochgelegten Beinen, den Rücken entspannt gegen das Fenster gelehnt und herausfordernd grinsend.
    »Was machst denn du hier? Spinnst du? Das ist eine Reisegruppe.«
    »Well I know and I’ve booked that damned tour. My name is Mark. Nice to meet you.«
    Mark streckte Laura die rechte Hand entgegen.
    »Du hast diese Tour gebucht?«
    »Aber sicher doch, gebucht und bezahlt. War gar nicht so einfach, das so schnell zu bewerkstelligen. So, jetzt gehöre ich zu deiner Gruppe. Eine hübsche Reiseleiterin haben wir da abbekommen, alle Achtung.«
    Laura schüttelte lachend den Kopf. »Du bist ein Spinner, weißt du das?«
    »Warum denn? Weil ich mich plötzlich für die Kultur des Veneto interessiere?« Mark versuchte unschuldig dreinzublicken.
    »Du weißt ganz genau, warum.« Laura sah kurz zurück, beugte sich zu Mark und gab ihm einen dicken Kuss auf den Mund. »Ich hab dich ganz schön gern.«
    »Uups«, sagte Mark, »gehst du bei deinen Gästen immer so forsch ran?«
     
    Wenig später hielt der Bus bei der Villa Valmarana. Mark hatte bereits erste Kontakte zu den Teilnehmern der Reisegruppe geknüpft. Vor allem zwei grauhaarige Damen aus Chicago waren seinem Charme erlegen. Bei Tiepolos Fresken hörte er Laura von Troja und der Opferung der Iphigenie erzählen, von Achilles, Pallas Athene und Agamemnon. Da habe ich mir ja etwas angetan, dachte Mark. Ganz so anspruchsvoll hatte er sich das nicht vorgestellt. Aber es machte ihm Spaß, Laura bei ihrer Arbeit zu beobachten. Wie sie temperamentvoll gestikulierte und mit Späßen und Anekdoten ihren Vortrag auflockerte. Er nahm seine Kamera, stellte scharf und schoss einige Aufnahmen. Lächelnd dachte er, dass er im Laufe dieser Fahrt keine einzige Sehenswürdigkeit, stattdessen nur die Reiseleiterin fotografieren würde. Laura erzählte, wie die Villa zu ihrem Spitznamen
dei Nani
, der Zwerge, gekommen war. Mark stand zwischen den beiden alten Damen und hörte Laura zu. Einer Sage zufolge habe hier einst eine ebenso kleine wie hübsche Prinzessin gewohnt. Ihr Hofstaat bestand aus Zwergen. Als ihre Liebe zu einem Prinzen unerwidert blieb, nahm sie sich das Leben. Aus Trauer über den Tod ihrer Prinzessin seien die Hofbediensteten zu Stein erstarrt. Laura deutete auf die Skulpturen der Zwerge. Mark tat es Leid, dass er keine Gelegenheit hatte, mit ihr über die Risiken einer unerwiderten Liebe zu frotzeln.
    Von der Villa Valmarana führte Laura die Reisegruppe zwischen hohen Mauern einen kleinen Weg hinunter zur nahe gelegenen La Rotonda, dem ersten Höhepunkt ihrer Reise. Diese wohl berühmteste Villa Palladios, ein quadratischer und streng symmetrischer Kuppelbau, präsentiert sich auf allen vier Seiten mit einer breiten Treppe und einer klassischen Tempelfront. Auf seiner italienischen Reise hat schon Johann Wolfgang von Goethe mit scharfem Auge erkannt, dass die Treppen und Vorhallen bald größer sind als das eigentliche Haus, das den Bedürfnissen eines Sommeraufenthalts einer vornehmen Familie kaum gerecht würde. Und so hat der Dichterfürst bei aller Bewunderung der hohen Kunst Palladios über die Villa in sein Tagebuch geschrieben: »Man kann sie wohnbar, aber nicht wöhnlich nennen.«

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