Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
vorher noch eine Frage. Hast du etwas von Guido gehört?«
»Ja, habe ich, er hat mich unterwegs auf meinem Handy angerufen. Leider ohne Ergebnis. Fehlanzeige, in Abano Terme war in keinem Hotel ein Rudolf Krobat registriert. Aber Guido meint, das habe nichts zu besagen. Falls jemand vorhabe, einen Mord zu begehen, lasse er sich am Ort seiner Tat kaum mit dem richtigen Namen registrieren.«
»Hätte schon sein können, schließlich würde niemand die beiden miteinander in Verbindung bringen. Aber wahrscheinlich hat Guido Recht, Rudolf ist zu raffiniert und hinterhältig.«
»Ist zu raffiniert und hinterhältig? Kein ›vielleicht‹ oder ›möglicherweise‹. Das klingt ganz so, als ob du deine Zweifel überwunden hättest.«
»Stimmt«, antwortete Mark, »ich habe keinen einzigen Beweis, und dennoch bin ich mittlerweile von Rudolfs Schuld überzeugt.«
»Bravo, ich gratuliere! Hat diesen Sinneswandel dein Anruf in Rudolfs Firma bewirkt?«
»Nein, hat er nicht, aber immerhin hat mein Anruf auch nicht zu seiner Entlastung beigetragen. Rudolf war nach Auskunft seines Sekretariats bis einschließlich gestern auf Geschäftsreise – und zwar in Italien. Heute habe er sich einen Tag Urlaub genommen, ich könne ihn eventuell zu Hause erreichen. Aber auf dieses zweifelhafte Vergnügen habe ich verzichtet.«
Die Platte mit den Arien war zu Ende. Laura stand auf und stellte das Grammofon ab.
Mark deutete auf die leere Tasse, die neben ihm auf dem Boden stand. »Laura, kannst du bitte aus der Küche die Teekanne holen? Und eine Tasse für dich, wenn du auch einen Tee möchtest.«
»Gerne, und dann erzählst du weiter.«
Er nickte und nahm den letzten Briefumschlag aus dem Karton. Zunächst studierte er das Datum des Poststempels, dann zog er den Brief heraus, entfaltete ihn behutsam und begann zu lesen.
Er bemerkte kaum, wie sich Laura zu ihm auf den Boden setzte und Tee nachschenkte. Erst als er mit dem Brief fertig war, nahm er einen Schluck.
Laura sah ihn fragend an. Mark fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ein weiterer Brief von meiner Mutter, geschrieben zwei Wochen vor ihrem Selbstmord. Ihr letzter Brief.« Er machte eine lange Pause. »Offenbar hat Grandma Ottilia auf all diese Briefe ihrer Tochter geantwortet. Jedenfalls nimmt meine Mutter immer wieder Bezug auf Briefe, die sie von Grandma erhalten hat. Meistens aber berichtet sie nur, ähnlich wie in einem Tagebuch, was ihr so widerfährt, was sie quält, warum sie zwischendurch verzweifelt ist, dann aber wieder Hoffnung schöpft und frohen Mutes ist.«
Laura nahm Marks Hand und streichelte ihn.
»Diese Briefe sind es, die mich an Rudolfs Schuld nicht mehr zweifeln lassen«, fuhr Mark fort, »denn um ihn dreht es sich meistens. Patrizia, ich habe meine Mutter mit ihrem Vornamen angesprochen, beschreibt einen Rudolf, den wir nicht kennen. Der Rudolf in den Briefen ist ein hemmungsloser Spieler, jemand, der alles riskiert, um alles zu gewinnen – meistens aber um alles zu verlieren. Schon als kleines Kind hat er offenbar damit angefangen, Entscheidungen von einem Würfel treffen zu lassen. Zunächst waren es nur unwichtige Entscheidungen, zum Beispiel, welche Kinder zu seinem Geburtstag eingeladen werden. Da hatte sich Patrizia noch über diese Eigenart amüsiert. Als er dann aber als Achtjähriger von einer Brücke in die Isar gesprungen ist und hinterher als einzige Begründung für diese Mutprobe, die er nur mit viel Glück überlebt hat, eine gewürfelte Sechs anführte, war Patrizia fassungslos.«
»Und du wusstest von diesem Charakterzug nichts? Immerhin ist Rudolf dein Halbbruder?«
»Wie sollte ich? Ich bin zwölf Jahre jünger als Rudolf. Meine Mutter hat sich ja von Rudolfs Vater scheiden lassen und ist nach England gezogen, wo ich dann geboren wurde. Ich habe Rudolf als Kind nie gesehen, ich wusste gerade mal von seiner Existenz. Das war auch schon alles. Jedenfalls ist aus dem würfelnden Kind später ein Hasardeur geworden. Seine Weinimportfirma, die er vom Vater geerbt hatte, stand einige Male kurz vor der Pleite, weil Rudolf sein ganzes Geld in Spielkasinos verzockt hatte. Sein luxuriöser Lebensstil verschlingt zudem Unsummen. Da fallen die teuren Callgirls noch am wenigsten ins Gewicht. Und immer, wenn er überhaupt nicht mehr weiterwusste, wenn ihm das Wasser bis zum Hals stand, war er bei meiner Mutter aufgetaucht und hatte um Hilfe gebeten.«
»Wie hätte deine Mutter ihm helfen können?«
»Mit Geld, das sie eigentlich
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