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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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Ich kann ja nur mit dir über meine Sorgen reden. Patrick will nichts von Rudolf wissen, er lehnt ihn völlig ab. Die Ärzte sagen, dass es Patrick schon wieder besser gehe, bald dürfe er heim. Und wenn er sich dann etwas erholt hat, nehmen wir gerne dein Angebot an und kommen dich am Gardasee besuchen. Das wird Patrick gut tun. Vielleicht kommt auch Mark dazu, die Fotoakademie in Paris hat bald Semesterferien.
    Zurück zu Rudolf. Ich bringe es nicht fertig, ihn im Stich zu lassen. Er ist trotz allem mein Sohn! Ich fahre später am Tag zu Patrick in die Klinik. Ich habe Rudolf den Schlüssel zum Atelier gegeben und ihm gesagt, dass er aus dem hinteren Archivregal zwei bis drei Gemälde herausnehmen kann, um sie zu verkaufen. Mit dem Erlös kann er seine Geldsorgen zwar nicht beheben, aber hoffentlich hilft das Geld über das Schlimmste weg. Ich hoffe, dass Patrick die Bilder nicht allzu bald vermissen wird. Sie sind ihm, glaube ich, nicht so wichtig. Irgendwann wird er es merken. Ich werde ihm dann beichten, dass ich die Bilder Rudolf überlassen habe. Er wird es nicht verstehen – aber mir doch verzeihen …‹«
    Mark ließ die Hand mit dem Brief sinken und sah Laura an. »Das war Patrizias letzter Brief. Zwei Wochen später setzte sie ihrem Leben mit Schlaftabletten ein Ende.«
    »Jedenfalls wissen wir nun, warum Ottilia in ihrem Testament Rudolf übergangen hat.«
    »Ja, jetzt ist mir ihre Entscheidung auch klar. Und ich Idiot hatte ein schlechtes Gewissen und hätte fast freiwillig mein Erbe mit Rudolf geteilt!«
    »Ottilia wusste schon, was sie tat. Übrigens ist nun auch klar, warum Rudolf das Porträt bekommen hat. Das war von Ottilia als Mahnung gedacht, da sie ihn für den Tod deiner Mutter verantwortlich machte.«
    Die alte Standuhr im Flur schlug zur vollen Stunde. Mark nahm die Briefe, sortierte sie nach Datum und legte sie wieder in den Schuhkarton. »Was glaubst du ist in jenen zwei Wochen zwischen diesem Brief und ihrem Tod passiert?«, fragte er.
    Laura zögerte. »Vielleicht ist dein Vater aus dem Krankenhaus zurückgekommen, hat die fehlenden Bilder bemerkt, deiner Mutter große Vorwürfe gemacht, ihr nicht verziehen, ihr gesagt, dass er sich von ihr scheiden lassen möchte. Daraufhin hat Patrizia Selbstmord begangen. So ungefähr könnte es gewesen sein.«
    Mark nickte zustimmend. »Meine Überlegungen gehen in dieselbe Richtung. Es gibt noch eine merkwürdige Episode, die ich dir erzählen muss. Nach dem Tod meiner Mutter bin ich sofort von Paris nach London gefahren. Ich erinnere mich noch wie heute an die Begegnung mit meinem Vater. Mitten in seinem Atelier hat er auf einem Drehstuhl gesessen, mit hängenden Schultern und starrem Blick. Ich habe mich vor ihm niedergekniet und ihn in die Arme genommen. Mein Vater hat kein Wort gesagt, nur leise und verzweifelt geschluchzt. Mir ist damals etwas aufgefallen, worüber ich nie nachgedacht habe.«
    Laura ließ Marks kurze Pause verstreichen, ohne etwas zu sagen.
    »Das Atelier wirkte ungewöhnlich leer und aufgeräumt. Normalerweise standen immer viele Bilder herum, auf Staffeleien, hintereinander an die Wände gelehnt, in Regalen. Ich kann mich an kein einziges Bild an jenem Tag erinnern. Ich glaube, alle Bilder waren weg.«
    »Entweder hat sich dein Vater im Schock über den Tod deiner Mutter von all seinen Bildern getrennt – vielleicht hat er sie verbrannt, so etwas soll es geben – oder die Bilder waren schon nicht mehr da, als er aus der Klinik zurückkam.«
    »Ich denke, sie waren nicht mehr da, als er aus der Klinik kam. Und genau am Tag seiner Entlassung hat sich Patrizia das Leben genommen. Warum wohl? Ich glaube, Rudolf hat sich nicht nur die zwei bis drei Bilder aus dem hinteren Archivregal genommen, er hat das Atelier mehr oder weniger komplett ausgeräumt. Möglicherweise dachte er, mein Vater überlebt seinen Herzinfarkt sowieso nicht. Oder es war ihm wieder einmal alles egal. Vielleicht hat er ja vorher gewürfelt wie als kleiner Junge, bevor er den Frosch erschlagen hat.«
    »Und noch während dein Vater in der Klinik war, hat Patrizia bemerkt, dass Rudolf alle Bilder mitgenommen hat«, setzte Laura den Gedankengang fort. »Die Situation war in ihren Augen ausweglos. Sie wollte Rudolf nicht ans Messer liefern, aber auch nicht ihre Ehe mit deinem Vater opfern. Deshalb hat sie in ihrer Verzweiflung an dem Tag Selbstmord begangen, an dem dein Vater wieder ins Atelier gekommen wäre.«
    »So könnte es gewesen sein, genau so.

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