Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Leben abgeschlossen und vegetierte nur noch so dahin. Wie auch immer, jedenfalls bestätigte Jerry, dass seiner Schätzung nach sechsunddreißig Gemälde meines Vaters während seines Krankenhausaufenthalts aus dem Atelier verschwunden sind. Nur drei Bilder, an denen er noch gearbeitet hatte, seien noch da gewesen. Mein Vater hat sie später nicht mehr fertig gemalt, sondern vernichtet.«
»Und? Sind diese sechsunddreißig Bilder irgendwann wieder aufgetaucht?«
»Sind sie, ja, sehr bald sogar. Zu Jerrys Verwunderung wurden die ersten Bilder nach wenigen Wochen bei einer Auktion in Frankfurt verkauft, obwohl man mit ihnen in England einen deutlich höheren Preis erzielt hätte. Als Verkäufer ist eine Galerie aus Bad Homburg aufgetreten. Kurz darauf seien die nächsten Bilder in Hamburg, dann in Paris und London aufgetaucht. Innerhalb weniger Monate hätten sie alle neue Besitzer gefunden. Jerry sagte, dass auch das ausgesprochen seltsam gewesen sei. Diese plötzliche Schwemme von Hamiltons habe auf die Preise gedrückt.«
»Rudolf konnte aber nicht warten, er brauchte ja das Geld«, sagte Laura. »Übrigens habe ich gerade eine lustige Beobachtung gemacht, die einmal mehr bestätigt, dass du nicht viel mit deinem Halbbruder gemeinsam hast.«
»Ich bin für jedes Unterscheidungsmerkmal außerordentlich dankbar«, erwiderte Mark, während er mit der Gabel die Tagliatelle aufdrehte.
»Fast jeder Mensch, den ich kenne, dreht Nudeln rechtsherum, also im Uhrzeigersinn, auf die Gabel. Ich mache das ebenfalls so, übrigens auch Roberto und natürlich auch dein lieber Rudolf. Eine der wenigen Ausnahmen war deine Großmutter Ottilia, sie drehte immer linksherum. Uns ist das irgendwann mal aufgefallen. Normalerweise achtet man ja nicht darauf. Wir haben dann aber immer genau hingeguckt, wenn irgendjemand Nudeln gegessen hat. Das macht Spaß. Deshalb weiß ich auch, dass Rudolf ein Rechtsdreher ist.«
»Ein Rechtsträger?«
Laura lachte. »Darauf habe ich nicht geachtet, das kannst du mir glauben. Jetzt beobachte dich mal, wie herum du die Nudeln drehst.«
Mark steckte bedächtig die Gabel in die Tagliatelle und fing langsam an zu drehen.
Roberto, der es ihm nachmachte, staunte. »Ist ja unglaublich, Mark dreht linksherum, gegen den Uhrzeigersinn. Und ich drehe wirklich rechtsherum, andersherum kann ich es gar nicht.«
»Ist doch lustig, oder? Mark ist wirklich der legitime Enkel seiner Großmutter.«
»Na, ob das tatsächlich vererbbar ist, so wie angewachsene Ohrläppchen, ich weiß nicht«, schränkte Mark ein.
»Warum nicht? Wäre schon möglich. Aber ich wollte nicht vom Thema ablenken. Erzähl weiter.«
»Okay. Jerry hat mir den Namen der Galerie in Bad Homburg gegeben. Ich bin dann dorthin gefahren, habe mich vorgestellt und gesagt, dass ich von meinem Vater noch diverse Bilder aus seiner letzten Schaffensperiode hätte, von denen ich gerne einige verkaufen würde. Und von meinem lieben Bruder Rudolf Krobat wisse ich, dass er das ja bereits in hervorragender Weise mit seinen Bildern gemacht habe.«
Roberto klopfte Mark anerkennend auf die Schulter. »Ben fatto, du wirst noch richtig raffiniert.«
»Auf jeden Fall hat’s geklappt, der Galerist war ganz begierig auf meine Bilder und hat sogleich bestätigt, dass er dazumal im Auftrag von Rudolf Bilder meines Vaters verkauft habe.«
»Also, da haben wir doch wieder einmal eine wunderbare Bestätigung, dass sich alles so zugetragen hat, wie wir annehmen«, sagte Laura. »Die Mosaiksteinchen fügen sich langsam, aber sicher zusammen.«
»Sieht ganz so aus«, bestätigte Mark. »Ich habe übrigens noch Doktor Leuttner einen Besuch in seiner Kanzlei abgestattet.«
»Doktor Leuttner?«, fragte Roberto.
»Der ehemalige Vermögensverwalter meiner Großmutter und jetzt der bedauernswerte Verwalter meines dahingeschmolzenen Restvermögens, das diesen Namen kaum mehr verdient. Doktor Leuttner hat sich bereit erklärt, über eine befreundete Detektei, die auf Wirtschaftsdelikte spezialisiert ist, die Vermögensverhältnisse von Rudolf ausforschen zu lassen. Es wäre doch zu schön, wenn Rudolf kurz nach der Entführung einige erhebliche und unerklärliche Geldeingänge gehabt hätte. Alles kann er ja nicht in der Schweiz oder in Lichtenstein geparkt haben. Wenn unsere Theorie stimmt, war er ja wieder einmal ziemlich pleite, also müsste wenigstens ein Teil des Geldes aufgetaucht sein.«
Roberto rieb sich die Hände. »Mark, ich bin stolz auf dich. Es geht, wie es
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