Vereint
von Glück.
»Was meinst du, sehen wir deinen Dad vor Weihnachten noch mal?«, fragte Blaire, die ins Wohnzimmer kam, wo ich gerade den Anblick des Baums genossen und gelauscht hatte, wie sie We Wish You A Merry Christmas sang.
»Glaube ich kaum. Er ist ja erst vor einer Woche wieder heimgeflogen«, erinnerte ich sie. Sie zog die Stirn kraus und nickte dann. »Okay, dann müssen wir ihm sein Geschenk wohl mit der Post schicken. Für Harlow habe ich auch was besorgt. Ich hatte gehofft, du hast vielleicht eine Idee, was man deiner Mutter und Nan schenken könnte. Ich habe keine Ahnung, was ich ihnen kaufen soll. Ich kenne sie ja kaum.«
Meine Mutter und Nan? Sie hatte meinem Dad ein Geschenk gekauft? Und Harlow auch? Verdammt. Ich hatte lediglich an Geschenke für sie und das Baby gedacht. Anderen etwas zu schenken war mir gar nicht in den Sinn gekommen.
»Äh, ja, ähm, mal überlegen. Aber wir schenken uns eigentlich nie etwas. Wir feiern ja Weihnachten gar nicht zusammen als Familie.«
Blaire zog ein langes Gesicht, und sie sah mich mit traurigen Augen an. Sie traurig zu sehen mochte ich gar nicht. Ich mochte es, wenn sie falsch, aber glücklich sang wie gerade eben noch. »Aber es ist Weihnachten! Und zu Weihnachten kauft man den Menschen etwas, die man liebt. Muss ja nicht viel sein. Hauptsache, überhaupt etwas. Es macht Spaß, Dinge zu verschenken.«
Wenn sie meiner Mutter und meiner Schwester etwas schenken wollte, dann würde ich ihnen kaufen, was immer ich ihrer Meinung nach kaufen sollte, und es mit einem Lächeln verschicken. »Okay, Baby. Ich finde was für sie, und wir verschicken das dann zusammen mit den anderen Sachen.«
Das schien sie zu besänftigen, denn sie nickte. »Oh, gut, okay.« Sie wandte sich zum Gehen, hielt dann aber inne. »Für Kiro habe ich auch was. Das stecken wir mit den anderen Dingen in das Paket für L.A., okay?«
Ich musste einfach lachen. Sie hatte etwas für Kiro gekauft. Die würden ja alle denken, ich hätte den Verstand verloren, wenn sie Geschenkpäckchen von mir bekamen. »Kiro auch. Okay«, erwiderte ich.
Das Gute an Blaires endlosem Shopping war, dass ich dadurch Zeit hatte, ihre Überraschung vorzubereiten. Sie lag mir andauernd in den Ohren, dass wir nach Weihnachten das Kinderzimmer in Angriff nehmen müssten. Und ich stimmte ihr immer zu. Allerdings hielt ich die ganze Zeit über das letzte Zimmer links, das Zimmer mit dem schönen Ausblick also, das sie so liebte, verschlossen.
I m vergangenen Jahr hatte ich meine Mutter lange schlafen lassen, weil ihr spät am Abend zuvor noch übel geworden war. Ich war aufgestanden, hatte ihr ihr Lieblingsfrühstück – Erdbeerwaffeln mit Schlagsahne – zubereitet und die Baumlichter angeschaltet. Es würde mein letztes Weihnachten mit ihr sein, und das war mir auch klar gewesen. Ich hatte mich bemüht, dass alles perfekt war.
Als sie ins Wohnzimmer gekommen war, war sie von einem Kaminfeuer, einem Strumpf, gefüllt mit Sachen, mit denen sie sich am liebsten verwöhnte, von Weihnachtsmusik und mir empfangen worden. Sie hatte erst gelacht, dann geweint und mich umarmt. Dann hatten wir uns hingesetzt und gefrühstückt und danach die Geschenke ausgepackt. Ich hatte ihr so vieles kaufen wollen, aber das Geld war knapp. Also hatte ich mit meinen mäßigen kreativen Fähigkeiten ein Scrapbook von Valerie und mir als Kinder zusammengestellt. Meine Mutter wurde mit diesem Album in den Händen begraben.
Dieses Jahr hatte ich alles getan, was ich konnte, damit meine Mutter stolz auf mich sein würde. Manchmal erklang ihr liebstes Weihnachtslied, und dann musste ich gegen den Drang ankämpfen, mich in Embryostellung zusammenzurollen und zu weinen. Aber sie hatte mir letztes Jahr ein Versprechen abgenommen. Sie hatte auch gewusst, dass es ihr letztes Weihnachten würde, und sie hatte mich um einen Gefallen gebeten: Das nächste Weihnachten sollte ich so feiern, dass es für uns beide reichte.
Ich hatte mich wirklich sehr angestrengt, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.
Heute Morgen war ich schon vor Sonnenaufgang aufgewacht und, ohne Rush zu wecken, leise aus dem Bett geschlüpft. Ich brauchte etwas Zeit für mich. Zeit zum Nachdenken. Zum Erinnern. Ich wusste, falls meine Mom mich jetzt so sehen konnte, dann würde sie sich sehr für mich freuen. Ich war mit dem Mann verheiratet, den ich liebte. Ich würde selbst bald Mutter sein, und ich hatte meinem Dad verziehen. Ich setzte mich gegenüber dem bunt geschmückten
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