Vereist (German Edition)
weiszumachen, sie hätten etwas falsch verstanden. Ein bisschen Schokolade oder eine Limo reichten dafür meist aus. Er war schließlich kein Anfänger. Mit senilen Senioren und geistig behinderten Erwachsenen hatte er seit zwei Jahrzehnten zu tun. Aber Samuel war hartnäckig geblieben.
Pflegeheime, Wohngruppen – Darrin hatte in etlichen gearbeitet. Dort gab es jede Menge leichte Opfer, die der Gesellschaft keinen nützlichen Dienst mehr erweisen konnten.
Er hatte Arzt werden wollen. Das war sein eigentlicher Plan gewesen. An der Abendschule hatte er sich große Mühe gegeben und dann die Noten an einer staatlichen Schule anerkennen lassen, wo er einen gültigen Abschluss bekommen konnte. Getrieben von seiner Faszination für Leben und Tod hatte er sich anschließend fürs Medizinstudium einschreiben wollen. Er wollte das Machtgefühl eines Arztes spüren, der über Tod und Leben bestimmte. Wie in der Fernsehserie
Emergency Room
. Er hatte davon geträumt, in einer Notaufnahme zu arbeiten. Aber erst musste er in eine Großstadt wie New York oder Chicago ziehen. An einen Ort mit viel Gewalt. In die Notaufnahmen, die er kannte, kamen nur Leute mit Halsschmerzen oder Ohrenentzündungen. Er hingegen suchte das große Drama. Schießereien und Autounfälle.
Tod.
Aber sein Dad hatte seinen Job verloren und die Zeit mit Trinken verplempert, anstatt sich einen neuen zu suchen. Mom hatte in zwei Jobs gleichzeitig geschuftet, aber es hatte nie gereicht.Darrin musste arbeiten, damit er das Schulgeld zahlen konnte. Kein leichtes Unterfangen, wenn man nur den Mindestlohn kriegte. Also war er zu Hause ausgezogen. Warum Mom Geld für Rechnungen geben, wenn er auch seine eigenen bezahlen konnte? Er war Pflegehelfer geworden und hatte sich Arbeit in einem Heim gesucht. Alle anderen hatten die Tätigkeit dort gehasst. Er liebte sie.
In einem Pflegeheim hatte er so viel Macht wie ein Arzt. Er bestimmte, wer lebte und wer starb. Und wenn sie starben, schaute er zu, wie das Licht in den Augen seiner Opfer erlosch und fragte sich, was sie dann sahen. Manche wirkten glücklich, andere panisch. Und danach beobachtete er die Angehörigen, saugte die unterschiedlichen Gefühle der Menschen in sich auf, wenn sie vom Tod einer nahestehenden Person erfuhren: Kummer, Trauer, Verzweiflung – manchmal Erleichterung.
Einfach delikat.
Darrin schluckte. Zorn brannte in seiner Kehle. Würde er noch einmal eine Chance haben, Gott zu spielen?
Der Wechsel von den Pflegeheimen zu den Wohngruppen für geistig Behinderte war ein guter Zug gewesen. Die Opfer hatten stärkere Emotionen, stellten ein größeres Risiko und eine größere Herausforderung dar. Unauffällig zu töten erforderte mehr Kreativität. Einmal hatte er für einen Tod durch eine Überdosis gesorgt, indem er listig einem Patienten Zugang zu den Medikamenten eines anderen verschafft hatte. Ein andermal war es ein folgenschwerer Ausrutscher in der Dusche gewesen.
Er hatte viel Zeit darauf verwendet, die Morde zu planen, denn das erhöhte den Reiz. Nur bei Rosa und den beiden Frauen vor ihr hatte er fast ohne Plan agiert. Er hatte ganz spontan Chancen genutzt, die sich ihm geboten hatten. Bei diesen Morden ging es nicht mehr um die Ausübung von Kontrolle. Er hatte allein für den Kick und zur schnellen Bedürfnisbefriedigung getötet. Und genau das war ihm zum Verhängnis geworden.
Darrins Atem beschleunigte sich. Um sein Fernglas entstand eine kleine Dunstwolke.
Der Mord an Samuel war eine Überreaktion gewesen. Wenn der Kerl ihn mit den dauernden Fragen und seinem Gejammer nicht so genervt hätte, hätte er die Finger von ihm gelassen. Unter dem Vorwand, dort über Rosa sprechen zu wollen, war es leicht gewesen, Samuel zum Pool zu locken. Weil der Zurückgebliebene wegen der toten Frau und dem toten Hund so verzweifelt gewesen war, hatte Darrin geglaubt, er könnte die Selbstmordkarte spielen. Aber dann war Alex aufgetaucht und hatte sich geweigert zu glauben, dass sein Bruder sich umgebracht hatte. Samuels und Rosas Morde waren sehr sauber gewesen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass Darrin eine Schuld traf. Aber Alex’ schiere Hartnäckigkeit hatte ihn ins Gefängnis gebracht.
Darrins Hände krallten sich um das Fernglas. Als er auf Alex scharf stellte, zitterten sie.
Superheld A-Man war ihm zum zweiten Mal auf den Fersen.
Jim und Thomas hatten Alex draußen zurückgelassen. Nachdem Alex zugegeben hatte, dass er kein Marshal war, war Jim Thomas ins Cockpit gefolgt. Alex
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