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Vereister Sommer

Vereister Sommer

Titel: Vereister Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schacht
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die sich die UdSSR aus Anlass der Vier-Mächte-Konferenz in Berlin geleistet hatte, um gut Wetter zu machen. Zur gefährlichen Erkrankung kam so eine mit jedem Tag stärker werdende Furcht hinzu, nicht zu denen zu gehören, die den Ort des Schreckens vorzeitig verlassen durften. Es war das Gift des Zweifels, der zur Verzweiflung werden konnte, |29| das mit jeder verstreichenden Stunde tiefer in sie eindrang, sie weiter schwächte, die eitrige Entzündung im Hals nicht abschwellen ließ, bis plötzlich ein rettender Engel vor ihrem Bett stand, weißgekleidet und glaubwürdig wie kaum eine andere Erscheinung an diesem Ort: Doktor Gerhardt, die Ärztin, die selber eine politische Gefangene war. Sie gab ihr nicht nur eine Spritze, sie flüsterte ihr zu, während sie die vorgesehene Dosis »Eleudron« in den Oberarm injizierte, ein Ersatzmittel für Penicillin, dass sie ruhig sein könne, ganz ruhig, auch sie stehe auf den Entlassungslisten. Die Injektion war schmerzhaft, doch erinnerte sie sich, dass das Mittel ihre Tochter gerettet hatte, 1948, kurz nach deren Geburt, die an einer doppelseitigen Lungenentzündung erkrankt gewesen war. Als sie endlich begriff, dass Wirklichkeit werden sollte, was sie sich so sehnlichst gewünscht hatte, schoss jedoch, wie ein Flaschenteufel mit böser Grimasse, ein Verdacht in ihr hoch, der sie dem Gehörten gegenüber sogleich wieder in tiefe Skepsis stürzte: Hatte die Ärztin sie vielleicht nur beruhigen wollen? Eine gutgemeinte Lüge, aus therapeutischen Gründen? Damit sie durchhielt, wieder zu Kräften kam? Es kreiste in ihrem Kopf, der fieberheiß war, schneller und schneller, ein Gefühlssturm durchtobte sie, bis sie, erschöpft und schweißnass, endlich für kurze Zeit einschlief.
     
    Wie hätte sie auch wissen können, dass schon vor Monaten, am 9. Juni 1953, in der Sowjetunion entschieden worden war, dass auch sie freizulassen sei: mit dem » BESCHLUSS Nr. 6279/n « des »Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR in der Zusammensetzung von: Vorsitzender: General-Major der Justiz, Matulevitsch, Mitglieder: General-Major der Justiz, Sarjanow, und General-Major der Justiz, Dimitrijew«, die festgestellt hatten: »Nach Prüfung der Dokumente durch die Gerichtssitzung vom 9. Juni 1953 über die vorzeitige Freilassung von Schacht, Wendelgard, Ursula, Lisa, Scharlotte, geb. 1927, deutsche Bürgerin, verurteilt zu 10 Jahren Gefängnis |30| durch das Militärtribunal der Militärabteilung 92401 am 18.   11.   1950 lt. Artikel 17-58-I ›b‹ UK RSFSR, und in Anbetracht der Unnötigkeit des weiteren Aufenthaltes der Verurteilten Schacht im Straflager, wurde folgendes beschlossen : Schacht, Wendelgard, Ursula, Lisa, Scharlotte, ist aus dem Straflager vorzeitig zu entlassen.« Dabei hatten sie und ihre Kameradinnen in jenen Tagen auf eine ganz andere Befreiung gehofft: auf die durch den Aufstand der Arbeiter vom 17. Juni, der ihre Lage zunächst schlagartig verbessert hatte. Plötzlich wurden die Wachmannschaften freundlich, nicht wenige der uniformierten Frauen holten sich in vertraulichen Zweiergesprächen von ihren gefangenen Geschlechtsgenossinnen gar die Versicherung ein, nichts Böses an ihnen getan zu haben; plötzlich blieben die Zellen offen, so dass man sich gegenseitig besuchen konnte; plötzlich durften die trostlosen Räume mit den vergitterten Fenstern, in denen man steckte, verschönert werden; plötzlich gab es die Erlaubnis zu ausgedehnten Spaziergängen im Innenhof, gab es Kinovorstellungen und zusätzliche Paketgenehmigungen. Und ebenso plötzlich war alles wieder vorbei, wurde, drinnen wie draußen, die alte Ordnung erneut wieder die herrschende, und die Uran-Bergarbeiter der Wismut aus Aue, die, wie es sich bis auf den Gefängnisberg heraufgesprochen hatte, auch auf dem Weg zu ihnen gewesen waren, um sie herauszuholen aus der Zwingburg, waren schon im Vorfeld von der Volkspolizei abgefangen worden.
    Im Bett auf der Veranda des Stollberger Krankenhauses entschuldigte sie sich im Stillen bei der Ärztin für ihren Verdacht. Aus reinem Selbstschutz hatte sie ihn gehegt, der so falsch nicht gewesen war, sahen sie alle doch, die jetzt hier unten lagen, im Ort, auf der ersten Etappe der wiedergewonnenen Freiheit, das Elend all derer, die zurückbleiben mussten. Von ihren Betten aus, durch die großen Glasscheiben der Veranda hindurch, konnten sie,
mussten
sie mitansehen, wie oben, in der Burg, hinter den vergitterten Fenstern oder aus ihnen heraus, |31| Arme und

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