Verfehlung: Thriller (German Edition)
sie.
»Natürlich. Es wird alles gut gehen.«
Sie lächelte, war sich aber nicht sicher, ob er sich nicht nur über sie lustig machen wollte. Sie hatten schon eine Menge miteinander durchgemacht, und sie kannte ihn gut genug, um keine weiteren aufmunternden Worte von ihm zu erwarten.
Drake kam nun ganz ins Zimmer und setzte sich neben sie aufs Bett. Zaghaft legte er seinen Arm um ihre Taille und zog sie näher an sich heran; dann legte er den Kopf auf ihre Schulter. Katrina, die solches Zartgefühl nicht von ihm gewohnt war, wurde unruhig.
»Hast du Angst vor diesem Mann?«, fragte sie. »Nach dem, was Vasiliy zugestoßen ist?«
»Nein.«
»Wirst du ihn töten?« Sie machte eine Pause, ehe sie die Frage stellte, die ihr eigentlich auf dem Herzen lag. »Und das Mädchen?«
Drake erhob sich, machte aber keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen.
»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich.
»Was von beidem weißt du nicht?« Katrina sah ihn eindringlich an.
Er erwiderte ihren Blick, schwieg aber. Es gelang ihr nicht, in seinen Augen zu lesen, also ließ sie ihn wortlos hinausgehen.
Ellie hatte angestrengt auf alles gelauscht, was sich in der Hütte abspielte, bis sie hörte, wie die beiden Männer, immer noch streitend, nach draußen zum Wagen gingen. Sie war sich sicher, jetzt mit der Frau allein im Haus zu sein. Sowie sie die Männer in sicherer Entfernung wähnte, machte sie sich daran, auch noch den letzten Nagel aus dem zweiten Brett zu ziehen. Die Frau hatte vorne im Haus das Radio eingeschaltet, und Ellie lauschte ihren Schritten und der Melodie, die sie vor sich hin sang. Sie fragte sich, wie eine Frau es fertigbrachte, ihr gemeinsam mit diesen beiden Männern so etwas anzutun. Sie begriff es einfach nicht.
Der letzte Nagel erwies sich als weitaus hartnäckiger als die vorigen. Ellie befürchtete schon, dass sich die Nägel in dem nächsten Brett nun alle so schwer lösen lassen würden. Hoffentlich nicht, betete sie. Sie war überzeugt davon, aus dem Fenster klettern zu können, wenn sie drei der fünf Bretter entfernt hätte. Dann bräuchte sie nur das Fenster nach oben zu schieben, sich hindurchzuquetschen, sich auf den Boden fallen zu lassen und davonzulaufen. Der Gedanke an die Freiheit gab ihr trotz aller Schmerzen die Kraft, weiterzuarbeiten, obwohl die Wirkung der Medikamente bereits wieder nachließ.
Während sie sich abmühte, stellte sie das Foto ihres Vaters auf das Fensterbrett und warf von Zeit zu Zeit einen Blick darauf. Sie überlegte, wie er heute wohl aussah.
Ihre Mom hatte eigentlich immer gern von ihm erzählt,
nachdem Ellie sie zum ersten Mal gefragt hatte, wieso die anderen Mädchen im Kindergarten eine Mommy und einen Daddy hatten und sie nicht. Ihre Mom hatte ihr erklärt, dass sie Schottland, wo ihr Dad lebte, hatte verlassen müssen, dass sie jedoch bald zu ihm zurückzukehren hoffe, damit sie alle wieder zusammen sein könnten. Doch die Rückkehr hatte sich immer wieder verzögert, und je mehr Zeit verstrich, desto schwieriger schien sie zu werden. Ellie spürte die Traurigkeit ihrer Mom, sooft sie sie nach ihrem Dad fragte, hatte aber nicht das Gefühl, dass ihre Mom böse auf ihn war – eher dass sie ihn ebenso vermisste wie sie selbst.
Über die Jahre zogen sie hierhin und dorthin und sprachen häufig über ihn, auch dann noch, als ihre Mom mit fremden Männern essen ging und andere Dinge mit ihnen machte. Trotzdem spürte sie, dass ihre Mom ihren Dad nie ganz vergessen hatte. Mit den anderen Männern hielt sie es nie lange aus. Ellie erklärte sich das so, dass ihre Mom sich mit diesen Männern nur vorübergehend die Zeit vertrieb, sich ablenkte, denn sie redete ja auch schließlich niemals davon, dass sie einen neuen Dad bekommen würde – so als wäre das eine Möglichkeit, die ihr nie in den Sinn kommen würde.
An dem Tag, an dem ihre Mom ihr eröffnete, dass sie sich endlich entschlossen hätte, nach Schottland zurückzukehren und Ellies Dad zu besuchen, war Ellie das Vorhaben ganz selbstverständlich vorgekommen, als wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen. Ihre Mom hingegen wirkte so, als wäre sie sehr plötzlich und ohne langes Überlegen zu diesem Entschluss gekommen. Doch sie freute sich darauf – genauso wie Ellie –, und das war das Einzige, was zählte.
Endlich hatte sie den Nagel gelockert. Vorsichtig nahm
sie das Brett vom Fenster und stellte es neben das erste auf den Boden. Sie bückte sich und schaute durch den Schlitz. Gerne hätte sie
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