Verfehlung: Thriller (German Edition)
hatte.
»Ach, hat der Boss sich mal wieder zugeknöpft gegeben?« Washington grinste.
»Ja«, sagte Logan. Es war ihm fast ein wenig peinlich, angesichts dieses offenbar heiklen Themas so mit der Tür ins Haus gefallen zu sein.
»Wir sollten es Tom und dem Boss überlassen, dir die Geschichte zu erzählen«, sagte Washington. »Aber so viel kann ich dir verraten: Tom blickt zu Alex auf, obwohl er schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat. Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber Tom hatte eine heftige Jugend, und die Armee war für ihn so etwas wie ein Zufluchtsort.
Die beiden waren dort ziemlich enge Kumpel, und nach allem, was ich gehört habe, hat Tom Alex mal den Arsch gerettet und heute immer noch Narben davon.«
Der Fahrstuhl hielt im dritten Stock, und sie betraten den Empfangsbereich von CPO.
»Ich muss mich jetzt vorbereiten«, sagte Washington. »Quetsch den Boss wegen Tom besser nicht zu sehr aus, ja? Wenn er die Zeit für gekommen hält, wird er dich in die ganze Geschichte einweihen.«
»Hat er hier in Schottland Familie? Tom, meine ich.«
»Nein. Seine Frau ist in Texas geblieben, als er mit Alex herkam. Und so, wie er über sie redet, gehe ich auch nicht davon aus, dass die beiden je wieder zusammenfinden werden. Allerdings hat er einen Sohn, der aufs College geht, mit ihm hält er Verbindung.«
Logan streckte Washington die Hand entgegen, die dieser kräftig schüttelte.
»Ich bin dir dankbar für das, was du für mich tust«, sagte Logan.
»Das hier ist mehr als einfach nur ein Job«, sagte Washington. »Und Alex ist für uns auch mehr als einfach nur ein Boss. Wir alle sind Soldaten, und für einen Soldaten zählen nur der Kamerad und der Nebenmann an seiner Seite. Wenn man in der Wüste oder sonst irgendwo in feindliches Feuer gerät, denkt man nicht an Gott und das Vaterland oder an einen der übrigen vorgeschobenen Gründe, aus denen man dort ist. Es geht einzig darum, lebend wieder rauszukommen, alles andere tritt in den Hintergrund. Alles.«
Logan nickte. Er merkte, dass Washington aus tiefstem Herzen gesprochen hatte.
»Du bist jetzt einer von uns«, fuhr Washington fort. »Wir passen aufeinander auf.«
Er sah Logan ernst an, fast feierlich.
»Das bedeutet aber auch, dass du genauso auf uns aufpassen musst. Verstanden?«
Logan nickte noch einmal.
»Gut. Dann ziehen wir es durch.«
12
06:08 Uhr
Ellie hatte zunächst nicht wieder einschlafen können, nachdem sie erst ins Freie gescheucht worden war, dann um ihr Leben gefürchtet hatte und schließlich kurz, viel zu kurz, mit ihrem Dad hatte reden dürfen. Alles zusammen hatte sie stark mitgenommen. Sowie sie zurück in ihrem Zimmer war, hatte sie ihre Fluchtvorbereitungen fortgesetzt, indem sie sogleich versuchte weitere Nägel aus den Brettern zu ziehen. Doch weil ihre Hände unkontrollierbar zitterten, hatte sie sich wieder hinsetzen müssen, um sich von dem Erlebten zu erholen. Sie schloss die Augen, aber das brachte nur die beinahe physisch nachvollziehbare Erinnerung daran zurück, wie ihr vor Angst die Luft im Hals stecken geblieben war, ihr Herz einen Schlag ausgesetzt und dann wild zu schlagen angefangen hatte. Sie legte sich flach aufs Bett. Nach einer Weile atmete sie wieder gleichmäßiger und fühlte sich in der Lage, es erneut mit den Nägeln aufzunehmen. Fast immun gegen die Furcht, entdeckt zu werden, machte sie sich mit neuer Energie an die Arbeit. Der Anblick der auf ihren Kopf gerichteten Waffe hatte sie in der Erkenntnis bestärkt, dass sie hier verschwinden musste.
Als Ellie bis auf einen sämtliche Nägel aus dem zweiten Brett herausgezogen hatte, waren die Kuppen ihres Daumens und ihres Zeigefingers rissig und blutig. Sie legte sich wieder auf das Bett und lutschte an ihren geschundenen Fingern, damit der Schmerz nachließ und sie zu bluten aufhörten. Darüber schlief sie ein und träumte von ihrer Mutter und davon, wie sie sie als Baby in den Schlaf gesungen hatte. Aber der Schlaf währte nur kurz, und sie erwachte davon, wie der Schmerz in ihren Fingerspitzen pochte. Sie wischte sich die Tränen ab, die der Traum in ihre Augen getrieben hatte.
Sie fand es sonderbar, dass die Erinnerung an ihre Mutter trotz der Erlebnisse der letzten Tage und trotz all ihrer Versuche, von hier zu fliehen, zunehmend blasser zu werden begann. Das erschreckte sie zutiefst, und sie wünschte sich verzweifelt ein Foto oder sonst etwas von ihr, woran sie sich festhalten konnte.
Aber da gab es ja etwas. Sie griff
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