Verfehlung: Thriller (German Edition)
abzuwarten. Cahill überließ ihm stets sämtliche juristischen Angelegenheiten, und Logan hatte das beruhigende Gefühl, dass Cahill nun ganz in seinem Element war.
»Auf jeden Fall«, nahm Sharp den Faden wieder auf, »gibt es keinen Anlass für Mr. Finch, nicht mit uns sprechen zu wollen. Oder sollte ich mich da etwa irren?« Logan vermutete, dass diese Gesprächswendung genau das war, worauf Cahill es angelegt hatte – es handelte sich eben nicht um eine Routinebefragung, wenn sie so schnell die harte Tour fuhren.
Die Beamtin sah ihren Kollegen Sharp scharf an, als würde sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpassen wollen. Detective Sergeant Sharp, korrigierte Logan sich in Gedanken. Der Mann war ihr Vorgesetzter, aber ganz offensichtlich war sie es, vor der man sich in Acht nehmen musste.
»Eins wollen wir mal klarstellen«, sagte sie jetzt an Cahill gewandt, fixierte dabei aber noch immer Logan. »Ich möchte unsere Bekanntschaft mit Ehrlichkeit beginnen. Jeder soll wissen, wo er steht.«
»Dann schießen Sie mal los«, ermunterte Cahill sie.
Von der Beamtin schien ein wenig ihrer Anspannung abzufallen. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Das Kräf temessen ist beendet, dachte Logan. Es musste den beiden Polizisten doch klar sein, dass Cahill kein Anwalt sein konnte, so wie er da in seiner Khakikampfhose saß und einen auf Robert Redford als Sundance Kid machte. Seltsamerweise schien das jedoch keine Rolle zu spielen. Offenbar hatten sie geschluckt, dass Cahill sich von ihnen nichts sagen ließ, und das war es wohl, worauf es ihm angekommen war.
»Okay.« Die Beamtin übernahm wieder das Wort. »Wir befassen uns gerade mit der Untersuchung eines Vorfalls von heute Morgen. Aus naheliegenden Gründen darf ich zu diesem Zeitpunkt noch keine näheren Einzelheiten bekannt geben, aber es handelt sich um einen ungeklärten Todesfall.«
Logan versuchte zu schlucken, brachte aber nur ein trockenes Geräusch in seiner Kehle hervor.
»Heute früh ist eine Frau gestorben«, fuhr die Beamtin fort. »Bei der ersten Untersuchung des Tatorts ist Ihr Name aufgetaucht, Mr. Finch.«
»Wie das?« Logan hatte seine Stimme wiedergefunden. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Wir haben am Tatort eine Ihrer Visitenkarten gefunden.«
»Verstehe. Wenn Sie mir den Namen des Opfers nennen, kann ich Ihnen vielleicht helfen. Schließlich haben alle möglichen Leute meine Karte.«
Die Beamtin beugte sich vor, als beabsichtige sie eine Erwiderung. Doch dann sah sie Logan nur starr an, als wolle sie sich sein Gesicht einprägen.
»Penelope Grant«, sagte sie schließlich.
Logans Herzschlag setzte aus.
10
11:20 Uhr
Seine Brust zog sich zusammen, und er musste die Augen schließen. Es war ihm gleich, wie sein Verhalten auf die beiden Beamten ihm gegenüber wirkte. Sämtliche Geräusche um ihn herum verstummten und ließen ihn in einem luftleeren Vakuum zurück. Nur langsam wurde er sich wieder des Schlagens seines Herzens bewusst.
Ta-Tumm
Ta-Tumm
Ta-Tumm
Aber es hörte sich hohl an, so als würde jeder Schlag in einem leeren Raum widerhallen. Dann nahm er wieder Stimmen im Raum wahr. Jemand sagte seinen Namen, aber er hörte sich fremd an und schien nicht zu ihm zu gehören.
»Mr. Finch?«
Als Logan die Frau ansah, die ihm gegenübersaß, bemerkte er die geringfügigsten Details ihres Gesichts und ihrer Kleidung: ein nur unvollständig entfernter Fleck auf ihrem dunklen Jackenaufschlag, das Make-up in den kleinen Falten ihrer Augenwinkel, die dunklen Ansätze ihres blondierten Haares, der feine Haarflaum an ihrem Hals. Mit absoluter Klarheit erinnerte er sich an das flackernde Kaminscheit an jenem letzten Tag und daran, wie er auf den Holzfußboden seiner Wohnung gefallen war. Er streckte den Arm aus, um ihn aufzunehmen, doch seine Finger griffen auf der Tischplatte ins Leere.
»Penny«, brachte er endlich hervor.
»Also kennen Sie sie?«, fragte Sharp.
»Ja.«
Logan merkte, dass Cahill ihn eindringlich musterte.
»Oder vielmehr: Ich kannte sie«, sagte er, während er sich an seinen Freund wandte.
Logan kam es vor, als würden die zwölf langen Jahre seit ihrem letzten Beisammensein tief aus seiner Magengrube aufsteigen. Seine Gefühle ballten sich zu einer Kugel zusammen, die in ihm hochkam und drohte, ihn zu ersticken, ihm den Kopf von den Schultern zu reißen und ihn dann in der Luft in Stücke zu sprengen. Dann blieb die Kugel in seinem Hals stecken, und ein gequältes Husten war der einzige äußerliche
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