Verfehlung: Thriller (German Edition)
du nur zu, dass du zu deinem weltbewegenden Job kommst.«
Sie blickte ihn an, merkte, wie sehr er sich darin gefiel, sich über sie lustig zu machen, und hätte ihm am liebsten einen Schlag mitten in sein selbstgefälliges Grinsen verpasst.
Sie verließ das Bett, nahm eilig eine Dusche, zog ihre
weiße Bluse mit dem weiten Kragen und ihren marineblauen Hosenanzug an und schlüpfte in ihre flachen Schuhe. Als sie im Badezimmerspiegel ihr Aussehen überprüfte, fiel ihr ein Fleck Babyspucke an ihrem Blazer auf, den sie mit dem feuchten Handtuch herauszureiben versuchte. Er ließ sich nicht vollständig entfernen, aber mehr konnte sie im Moment nicht tun. Die ganze Zeit war Tom auf dem Bett liegen geblieben, um sich an das Wachsein zu gewöhnen. Aus dem Babyfon auf dem Boden neben dem Bett drangen die gedämpften Laute ihres einjährigen Sohnes, der im Kinderzimmer ebenfalls gerade aufwachte.
Sie setzte sich auf die Bettkante und bat Tom noch einmal, endlich aufzustehen und sich um das Baby zu kümmern.
»Mach ich«, murmelte er, unternahm aber keinerlei Anstalten, sich zu erheben.
Rebecca hatte heute keine Zeit für diesen Mist und ließ ihn ohne ein weiteres Wort im Schlafzimmer zurück.
Auf dem Weg nach draußen zog sie ihren Wintermantel über und wickelte sich ihren Schal um den Hals. Sie blickte die Straße hinunter, auf der sich erstes Leben regte. Tom, der im Gegensatz zu ihr aus Glasgow stammte, hatte vor dem Kauf ihrer Hälfte des viktorianischen Doppelhauses stolz erzählt, dieser Teil von Scotstoun läge im West End. Nun, da sie schon etwas über zwei Jahre hier wohnten, kam es ihr eher so vor, als befände sich ihr Stadtteil bloß rein geografisch gesehen im Westen. Aber egal, im wahren West End von Glasgow lebten sowieso nur künstlerisch angehauchte Dauerstudenten und Möchtegernyuppies, und mit einunddreißig lag diese Phase ihres Lebens längst hinter ihr.
Sie stand gerade vor ihrem Wagen, als das Handy in ihrer
Manteltasche zu summen begann. Ein Blick auf das Display verriet ihr, dass ihr Kollege Jack Sharp der Anrufer war.
»Jack?«
»Willkommen in der Kriminalabteilung der Polizei von Strathclyde, Becky.« Er klang nicht besonders gut gelaunt. »Wo bist du gerade?«
»Soeben zur Haustür raus.«
»Kennst du dich in der Gegend des Tatorts aus?«
»Ja. Tom und ich haben uns dort mal ein Haus angesehen, bevor wir unseres kauften. Es war zu teuer.«
»Umso besser, was? Okay, ich kann in ungefähr vierzig Minuten dort sein. Wie lange wirst du brauchen?«
»Kommt auf den Verkehr an. Wahrscheinlich bin ich vor dir da.«
»Also bis gleich. Gute Fahrt.«
Sie öffnete den Kofferraum und überprüfte den Inhalt ihres Ausrüstungsköfferchens: Einmalhandschuhe, Klebeband, Plastiktütchen für Beweismaterial und Aufkleber. Alles da.
»Auf geht’s, Mädchen«, sagte sie zu sich selbst.
Während sie in ihren Mantel gehüllt im Wagen saß, den Beschlag von der Windschutzscheibe wischte und darauf wartete, dass die Lüftung endlich Wärme spendete, beobachtete sie, wie im Erdgeschoss ihres Hauses die Lichter angingen, und fragte sich, wie um alles in der Welt es nur so weit hatte kommen können. Sie und Tom hatten es nicht leicht miteinander gehabt, bevor das Baby kam, und schon damals hatte sie ihn verdächtigt, ein Verhältnis mit einer Arbeitskollegin zu haben – obwohl er das stets weit von sich gewiesen hatte. Sie hatte gehofft, ein Kind würde dazu beitragen, dass sich die Wogen glätteten. Nun aber wusste sie, dass sie besser auf den Rat ihrer – unverheirateten – besten
Freundin hätte hören sollen – die die Vermutung angestellt hatte, dass ein Kind eher noch mehr Probleme in ihrer Beziehung schaffen als ebenjene vorhandenen lösen würde. Die Annahme schien sich leider bewahrheitet zu haben, und nach Toms Benehmen heute früh bestand auch keine Hoffnung auf Besserung.
Sie klappte das Handschuhfach auf, nahm eine CD heraus, drehte sie zwischen ihren Fingern und betrachtete das Foto der Band auf der Rückseite der Hülle. Mit neunzehn war sie mit dem Sänger ausgegangen, der damals die Gruppe mit seinen Freunden gerade gegründet hatte. Sie hätte nie geglaubt, dass sie es je zu etwas bringen würden, aber inzwischen verkauften sie jede Menge Platten, und sie empfand ein wohlig schlechtes Gewissen dabei, ganz allein für sich im Auto der Musik zu lauschen. Sie hatte nie darüber nachgedacht, wie ihr Leben sich entwickelt hätte, wenn sie mit dem Sänger zusammengeblieben wäre. Sie
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