Verfehlung: Thriller (German Edition)

Bothwell Street abends einsam und verlassen dalag.
    Sie griff nach ihrem Mobiltelefon und rief den Bereitschaftsraum in der Pitt Street an. Vielleicht erwischte sie Moore ja noch an seinem Schreibtisch.
    »DS Sharp«, meldete sich eine Stimme.
    Mist. Am liebsten hätte sie einfach aufgelegt.
    »Ich bin es, Jack. DC Irvine«, meldete sie sich formell.
    »Schön, von Ihnen zu hören, Becky«, sagte Sharp. Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Wie ist es Mr. Finch heute Nachmittag denn so ergangen?«
    »Sie haben mit dem Boss gesprochen?«
    »Das habe ich. Sogar recht ausführlich. Ich glaube, Sie haben einen ganz schönen Stein bei ihm im Brett, Becky.«
    Sie hatte die Geschichten gehört, die man sich über Sharp erzählte – dass er gleichzeitig ein Frauenhasser, aber auch kein Kostverächter war –, und konnte sie nun nachvollziehen.
    Verpiss dich doch.
    »Es war alles abgesprochen, Jack, also brauchen Sie nicht so beleidigt zu tun.«
    So viel zu der korrekten Einhaltung des Dienstweges. Sharp erwiderte nichts auf ihre Bemerkung, was sie als kleinen Triumph verbuchte.
    »Geben Sie mir bitte den Chef.«
    Es summte leise in der Verbindung, während Sharp sie durchstellte. Offensichtlich hatte Moore ihn heute Nachmittag in seine Schranken gewiesen – wie er es bereits in seinem Gespräch mit ihr angedeutet hatte. Genugtuung durchflutete sie. Sharp war ein Dinosaurier.
    »Becky?«, meldete sich Moores Stimme. »Waren Sie etwa nicht nett zu DS Sharp?«
    »Nicht unbedingt.«
    Moore wirkte amüsiert. »Ich schätze, dass Sie es bei uns
weit bringen werden, DC Irvine. Freut mich, dass Sie schon so früh in Ihrer Karriere beim CID Fuß fassen.«
    »Ich habe Logan bisher nicht gefunden«, sagte sie und bereute sogleich, seinen Vornamen benutzt zu haben.
    »Verstehe.«
    »Aber ich habe soeben einen Anruf von ihm erhalten, und ich glaube, dass er sich in Gefahr befindet, Sir.«
    »Inwiefern?«, erkundigte sich Moore. Jeglicher Anflug eines unverbindlichen Plaudertons war aus seiner Stimme gewichen.
    »Nun, er hat ein paar harte Tage hinter sich, und er sprach davon, sich heute Abend zu betrinken.«
    »Schön und gut, aber ich verstehe nicht, warum wir uns deswegen den Kopf zerbrechen sollen.«
    »Es war einfach, wie er sich anhörte. Nicht so sehr das, was er gesagt hat. Verstehen Sie?«
    Kurzes Schweigen.
    »Becky, Sie fangen doch nicht gerade an, sich zu persönlich in diesem Fall zu engagieren, oder? Denn ansonsten ...«
    Wieder dieses Bild in ihrem Kopf – wie sie nach seiner Hand gegriffen hatte, um sie zu berühren.
    »Nein, Sir«, sagte sie und bemühte sich, entrüstet zu klingen. »Er ist ein Hauptzeuge, und ich mache mir Sorgen, dass er sich etwas antun könnte.«
    »Nun, wenn schon Sie ihn nicht finden, wüsste ich nicht, was ich groß tun könnte. Ich habe Ihnen ja bereits erklärt, dass meine finanziellen Mittel begrenzt sind. Falls sich ein neuer Ermittlungsansatz daraus ergibt, könnte ich etwas lockermachen, aber nur auf eine bloße Vermutung hin ...«
    Sie merkte, dass er in seine Gewohnheit zurückfiel, von
unangenehmen Themen abzulenken – was sie als kein gutes Zeichen wertete.
    »In Ordnung, Sir«, sagte sie kurz angebunden. »Sie haben recht. Überlassen Sie alles mir.«
    Sie legte abrupt auf und bereute es sofort. Sharp zu verstimmen war eine Sache, Moore hingegen war ein ganz anderes Kaliber.
    Sie warf noch einmal einen Blick die Bothwell Street hinunter und ließ dann den Motor an. Doch nach ein paar Sekunden schaltete sie die Zündung wieder aus, lehnte sich in ihrem Sitz zurück, nahm einen weiteren Snickers-Riegel vom Armaturenbrett und riss die Verpackung auf.

13
    22:00 Uhr
     
    Logan merkte nichts von dem großen Mann, der auf ihn zukam. Das zweite Musikstück, in das der Diskjockey übergegangen war, nahm er weniger mit den Ohren als mit dem ganzen Körper wahr. Es war langsamer als das erste und hatte einen ungleichmäßigen Stakkatorhythmus.
    BOOM BOOM boom-boom BOOM-BOOM
    BOOM BOOM boom-boom BOOM-BOOM
    Im Spiegel beobachtete er die Bewegungen seines Schattens hinter ihm. Aalglatt schlängelte sich der Typ an dem Mädchen vorbei und ging dann an der Brüstung entlang zur Treppe, die vom oberen Rang zur Bar hinunterführte. Wenige Sekunden noch, dann stünde er unmittelbar neben
ihm. Logan rutschte seitwärts von seinem Hocker und mischte sich unter die Menge. Er musste seine Schultern einsetzen, um sich in der Masse der vor Schweiß dampfenden Körper zu bewegen.
    Boom