Verfemte des Alls
vorwärts zu dem schmalen Türschlitz in einer Ecke des Raumes, und dann befand ich mich zum zweitenmal in der Dunkelheit des Ganges, diesmal den Fremden hinter mir anstatt vor mir.
Wir waren noch nicht weit gegangen, als der Fremde plötzlich sprach.
»Ich weiß nicht, was du bist, Krip Vorlund«, kam Griss’ Stimme aus der Dunkelheit. »Thassa, sagt dieser armselige Tropf, dessen Erscheinung ich trage. Offenbar bist du von anderer Art und besitzt irgendeinen Schutz gegen unseren Willen. Aber dies ist nicht der Augenblick, Rätsel zu lösen. Wenn du überlebst, können wir uns später damit befassen. Wenn du überlebst!«
Seine Stimme klang auf einmal schwächer, so als stünde er nicht mehr in meiner Nähe. Und dann war da nur noch Dunkelheit und Schweigen – eine Stille ebenso überwältigend wie die undurchdringliche Schwärze. Ich empfand keinen Zwang mehr zu folgen – ich war frei, als ob ein Band zerschnitten worden wäre. Allerdings waren meine Arme mit dem Netz immer noch fest an meine Seiten gefesselt und meine Bewegungsfreiheit dadurch stark beeinträchtigt.
Ich horchte und hielt sogar den Atem an, damit mir auch nicht das geringste Geräusch entgehen konnte. Nichts – nichts als das entsetzliche Gewicht der erdrückenden Finsternis. Ich machte einen Schritt von der Wand zur Rechten fort – noch zwei, drei Schritte, dann stiefi ich mit der Schulter gegen die linke Wand. Hätte ich nur meine Hände wenigstens gebrauchen können, es wäre eine kleine Erleichterung gewesen, aber das war mir versagt.
Blind tappte ich weiter, immer an der Wand entlang, ohne zu wissen, wohin der Gang mich führen würde. Ich fand keine Tür, keine Öffnung, nichts als glatte Oberfläche streifte meine Schulter. Und der Tunnel schien kein Ende zu nehmen …
Ich war müde und hungrig, und Mund und Kehle waren trocken und rauh vor Durst. Das Wissen, daß ich in meinem Gurt die Mittel bei mir trug, meinen Hunger und Durst zu stillen, machte es doppelt schwer, sie zu ertragen. Es gab keine Möglichkeit, mich von meinen Fesseln zu befreien. Zweimal fiel ich hin, und die Anstrengung, in dem schmalen Tunnel wieder auf die Füße zu kommen, erschöpfte mich so, daß ich ein drittes Mal wahrscheinlich nicht mehr die Kraft haben würde, aufzustehen.
Weiter und weiter – es war wie ein Alptraum, in dem man durch zähen Schlamm waten muß, der jeden Schritt behindert, während der Verfolger immer näher kommt. Ich kannte meinen Verfolger – meine eigene Schwäche. Alles erschien mir jetzt irreal. Die vier Gekrönten – und Griss Sharvan, der gar nicht Griss war. Und Maelen …
Maelen! Über meinem Erlebnis in dem Kristallzimmer hatte ich sie ganz vergessen! Als ich versuchte, mein geistiges Bild von ihr erstehen zu lassen, floß sie mit einem anderen zusammen. Maelen mit langem roten Haar … Rotes Haar! Aber Maelen hatte das Silberhaar der Thassa – wie das kurzgeschorene Haar auf meinem eigenen Kopf. Rotes Haar – die Frau mit der Katzenkrone! Ich zuckte zusammen. Wieso drängte sie sich in mein Bild von Maelen? Mühsam baute ich das Bild von Maelen in ihrer Thassa-Gestalt in mir auf und sandte verzweifelt einen Ruf aus.
»Krip! Oh Krip!«
Ihre Antwort kam klar und laut, als ob wir nach langer Suche einander endlich gegenüberstünden. Ich konnte es kaum glauben. »Maelen?« Falls eine Gedankenbotschaft flüstern konnte, dann flüsterte meine jetzt.
»Krip, wo bist du? Komm, o komm doch …«
Ich hatte mich nicht geirrt. Sie war hier und in der Nähe, sonst hätte ich ihren Ruf nicht so klar und laut empfangen. Rasch antwortete ich: »Ich weiß nicht, wo ich bin – außer in einem sehr dunklen und engen Gang. Du mußt mir helfen.«
Und sie half. Ich hielt die Verbindung aufrecht, indem ich im Geiste ihren Namen ständig wiederholte. Plötzlich gelangte ich aus der Dunkelheit ins Licht und schloß geblendet die Augen.
»Krip!« So laut, als stünde sie vor mir! Ich öffnete die Augen. Sie war da.
Ihr schwarzes Fell war grau vor Staub, und sie schwankte von einer Seite zur anderen, als könnte sie sich kaum noch auf den Füßen halten. Am Kopf hatte sie einen großen getrockneten Blutfleck – aber sie lebte. »Maelen!«
Erschöpft war sie auf den Boden gesunken, als ob die Anstrengung, mich herzuleiten, ihre letzten Kraftreserven verbraucht hatte. Ich kniete neben ihr nieder. Nahrung, Wasser – sie brauchte beides ganz offensichtlich noch nötiger als ich. Und doch konnte ich ihr nicht helfen, wenn sie mich nicht
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