Verfemte des Alls
Irgendwann fanden wir eine Öffnung zur Linken und folgten dem neuen Tunnel. Längst hatte ich jeglichen Richtungssinn verloren, und Maelen ging es ebenso. Wieder stießen wir auf eine Öffnung und einen neuen Gang. Wie weit wir uns von dem Raum mit den Kugeln entfernt hatten, konnte ich nicht einmal erraten, aber ein schwacher Lichtschein, der immer stärker wurde, gab uns Mut.
Dann drang auch ein Geräusch an unsere Ohren – ein metallisches Klappern. Maelen drängte sich an mich.
»Vor uns – er, der Griss’ Körper trägt!«
Ich versuchte keine Gedankensuche. Im Gegenteil, ich wünschte mir sehnlichst, meine gesamte geistige Aktivität so sehr reduzieren zu können, daß er uns nicht aufzuspüren vermochte. Ich hatte nicht vergessen, wie leicht er mich gefunden hatte, als ich ihn mit den Piraten beobachtete.
»Seine Aufmerksamkeit ist voll und ganz in Anspruch genommen«, berichtete Maelen. »Er benutzt seine ganze Kraft für etwas, das von großer Wichtigkeit für ihn ist. Wir brauchen ihn nicht zu fürchten.«
Wir eilten den Korridor weiter, vorbei an den metallischen Geräuschen, die von einer Maschine stammen mochten, die irgendwo unter uns arbeitete. Wir erreichten eine Tür, ließen die Geräusche hinter uns und atmeten auf. Wenn wir Griss begegnet wären …
»Wir haben es geschafft!« sagte ich erleichtert.
»Fürs erste, ja«, erwiderte Maelen.
Wir befanden uns in einem neuen Gang, und weder Maelen, noch ich wußten, wohin er uns führen würde. Noch immer vermochten wir uns nicht zu orientieren.
Plötzlich stellte Maelen mir eine Frage, die sich so weit von unseren augenblicklichen Problemen entfernte, daß ich ziemlich überrascht war. »Findest du sie hübsch?«
Sie? Oh ja, Maelen konnte nur die fremde Frau mit der Katzenkrone meinen. »Sie ist sehr schön«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Ich habe sie auch im Traum gesehen«, sagte Maelen. »Ein makelloser Körper, vollkommen … wenn auch etwas fremdartig in der Haut- und Haarfarbe …«
»Aber ihr Geist sucht eine neue Hülle. Jener, der jetzt in Griss’ Körper einhergeht, besaß auch einen äußerlich vollkommenen Körper, und doch hat er mit Griss getauscht. Ob sie wohl auch eingefroren sind?«
»Bestimmt.« Maelen sagte es überzeugt. »Jener andere dort oben in den Felsen …«
»Lukas sagt, daß er schon seit langem tot ist. Aber jene vier – ich bin überzeugt, daß sie leben. Jener in Griss muß doch leben!«
»Vielleicht ist es so, daß ihre Körper, sobald sie aus dem Gefrierzustand herausgeholt werden, wirklich sterben. Aber ich glaube eher, daß sie ihre eigenen Körper für etwas anderes aufbewahren wollen, und daß sie sich unserer Körper bedienen, wie wir uns minderer Kleidung bedienen, die man schmutzig machen und fortwerfen kann, wenn irgendeine schmutzige Arbeit beendet ist. Aber – sie ist wirklich sehr schön!«
Es lag eine sehnsüchtige Wehmut in ihren Worten, die mich seltsam rührte, weil Maelen so selten derartige menschliche Gefühle zeigte. Manchmal schien sie doch die gleichen Wünsche zu haben wie meine eigene Rasse.
»Wer oder was sie wohl einmal war – Göttin oder Königin?« überlegte ich. »Wir können ihren wahren Namen nicht einmal erraten.«
»Ihr wahrer Name«, wiederholte Maelen meinen Gedanken. »Sie würde nicht wollen, daß wir ihn erfahren.«
»Aber warum nicht?« Mir fiel der alte Aberglaube wieder ein. »Weil es uns Macht über sie geben würde? Aber daran glauben doch nur primitive Völker! Und ich würde sagen, daß sie weit entfernt davon ist, primitiv zu sein.«
»Aber Glaube ist bedeutend, Glaube hat Macht, das habe ich dir schon gesagt, Krip.« Maelen war ungeduldig. »Glaube kann Berge versetzen, wenn er richtig angewandt wird. Wenn ein Volk glaubt, daß ein Name ein so persönlicher Besitz ist, daß die Kenntnis des Namens einem anderen Macht über den Eigentümer des Namens gibt, dann ist es für sie so. Und von einer Welt zur anderen ist die Zivilisation so verschieden wie Bräuche und Götter.«
Maelen und ich hoben fast gleichzeitig die Köpfe und schnupperten. Ein Geruch hatte unsere Wachsamkeit geweckt.
»Vor uns – andere«, übermittelte Maelen. »Vielleicht ihr Lager.«
Wir konnten nicht mehr weit von der Außenwelt entfernt sein. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als aus diesen Tunneln herauszukommen und zur LYDIS zurückzukehren.
Es war mir jedoch nicht bewußt geworden, daß meine Wanderung durch die finsteren Gänge mich im Kreis herumgeführt
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