Verflixte Hühnersuppe (German Edition)
ich mich auf und halte den Friedenskristall in die Höhe.
„ Sonnenlicht blendet euch! “, schreie ich und schon im selben Moment erstrahlt der Stein in meiner Hand so grell, dass auch ich meine Augen zukneife und den Kopf zur Seite drehe. Dann stecke ich das Zeichen zurück in meine Hosentasche. Ich hatte gehofft, dass das Licht den Wolf blenden würde, doch er erhebt sich vom Boden und zeigt seinen athletischen Körper, der nicht mal durch eine Horde wütender Schüler in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich dagegen spüre alle meine Knochen einzeln, die vielen Schürfwunden brauche ich erst gar nicht zu erwähnen. Immerhin entgeht mir nicht die kurze Handbewegung, die er aus dem Hüftgelenk ausführt. Was mag das bedeuten? Ich kneife die Augen zu Schlitzen zusammen und versuche zu erkennen, ob er etwas geworfen hat, aber da ist nichts.
Nur ein Sonnenstrahl, der sich auf der Oberfläche eines heranschwirrenden Gegenstandes für einen winzigen Augenblick spiegelt, lässt meinen Atem stocken. Ich ducke mich – und das in allerletzter Millisekunde! Scharf wie ein Rasiermesser schwirrt etwas knapp über meinen Kopf. Ich höre ein Klong! und hinter mir vibriert eine hauchdünne Stahlplatte mit stacheligen Spitzen am Stamm einer Buche.
Entsetzt starre ich den Wolf an. Er steht hoch aufgerichtet mitten auf dem Schulhof, die Schüler um ihn herum reiben sich die tränenden Augen oder stolpern blind umher. Doch dieses Wesen scheint von all dem unberührt zu sein.
Dann sehe ich zum allerersten Mal ein Grinsen, ein durchweg überhebliches Verziehen des Mundes, das nichts anderes sagt als: Du entkommst mir nicht!
Mit einem faustdicken Frosch im Bauch, der meine Angst in seinem großen Maul verschluckt hat, drehe ich mich um und springe die Mauer hinunter. Der Boden ist weich und ich federe ab, dann raffe ich mich auf und laufe.
Er wird mich einholen! Immer wieder spüre ich einen Stich im Herzen, wenn ich die Augen des Wolfs vor mir sehe. Doch jedes Mal sporne ich mich selbst wieder an und laufe noch schneller, als ich es je getan habe. Ich spüre kaum noch den Boden unter den Füßen. Bäume und Häuser fliegen an mir vorbei, der Wind treibt mir Tränen in die Augen. Ich wage es nicht, mich umzuschauen, habe Angst vor dem dunklen Schatten, der noch schneller als ich über den Asphalt schweben kann. Ich weiß, dass der Wolf mich einholen wird und dass ich ihm nicht gewachsen bin. Aber wohin soll ich laufen? Der einzige Ort, der nur wenigen Menschen bekannt ist, scheint das Baumhaus zu sein.
Wieder schießen mir Tränen aus den Augen, denn ich bin mir mit einem Mal sicher, dass der Wolf auch auf Bäume klettern kann, auch wenn er kein Seil für die ersten drei Meter zur Verfügung hat. Mit nur einem Satz springe ich über das Tor, wild entschlossen, es dennoch zu wagen.
Doch ich stoppe abrupt.
Erst an der alten Eiche komme ich zum Stehen. Ein eisiger Schauer jagt durch meine Adern. Ich bin mir nicht sicher, aber als ich über das Tor gesprungen bin, war da irgendetwas anders als sonst. Ich gehe die paar Meter zurück, drehe mich um – und erstarre.
Der Schreck lähmt meine Bewegung und ich vergesse einige Sekunden lang zu atmen. Aus meinem Zimmerfenster blinkt mir etwas entgegen. Ich weiß sofort, dass es nur einer der Spiegel sein kann, die ich zur Überwachung aufgestellt habe. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die Spiegel nichts reflektieren können, nicht einmal einen winzigen Sonnenstrahl – es sei denn, jemand hat sie verstellt!
Was ist in meiner Wohnung los?
Der Frosch mit meiner Angst im Bauch kriecht meinen Körper hinauf und versucht sich im Hals aufzublähen. Die Haustür steht offen, ich stürze hinein und bleibe wie angewurzelt stehen.
Die Wohnung ist verwüstet. Bücher liegen zerfetzt auf dem Boden, Wäschestücke quellen aus den Schränken und bedecken die Möbel. Überall liegt Glas und Porzellan in unendlich viele Stücke zersprungen. Hier hat jemand gewütet, vielleicht auch etwas gesucht. Dachten die Schlangenmenschen, ich verstecke den Friedenskristall in meiner Wohnung?
„Anna?“, rufe ich leise und ängstlich – dann ein zweites Mal, diesmal viel lauter. Wo ist Anna? Ist sie von ihrer Arbeit schon heimgekehrt und von den Einbrechern überrascht worden?
Ich gehe ein paar Schritte durch den Flur ins Wohnzimmer. Das Glas knirscht unter meinen Füßen. Aus dem offen stehenden Fenster weht ein Windstoß zu mir herein. Sonnenstrahlen fallen auf einen Spiegel am Boden. Es ist einer
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