Verflixte Hühnersuppe (German Edition)
Ein zweiter und ein dritter Schlag, da kann ich schon die Wolfsaugen sehen – und sein Blick lähmt mich. Benommen weiche ich zum Fenster zurück, hämmere verzweifelt dagegen, steige auf die Fensterbank und rüttle am Griff. Es lässt sich nicht öffnen!
Der Wolf steigt durch die Tür. Seine Gestalt ist riesig, sogar größer als die der gefürchteten Python-Kämpfer. Er macht sich nicht einmal die Mühe, die Tische und Stühle beiseitezuschieben, als er auf mich zugeht, er trampelt einfach über sie hinweg. Sein Gesicht ist starr und ausdruckslos, nicht eine Sekunde lässt er mich aus den Augen. Sein Herz ist aus Stahl, er wird mich mit den eisernen Händen zerquetschen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Die drei Python-Kämpfer stoßen den Stuhl fort und folgen ihrem Anführer. In ihren Augen stehen Hass und Verachtung, nur damit kann ich mich jetzt nicht auseinandersetzen. Ich schlage mit den Fäusten gegen die Fensterscheibe, spüre meine Knöchel schmerzen, aber es ist mir egal. Ich will nur raus, so schnell wie möglich fort! (10)
Das Glas zerspringt plötzlich in Tausende Splitter. Der Knall dröhnt in meinen Ohren und mein Schrei gellt über den Schulhof. Die Arme schützend vor mein Gesicht gepresst stoße ich vollends hindurch.
Schon einmal habe ich davon gehört, dass Sekunden so lang wie eine Ewigkeit sein können, und genauso fühle ich es in diesem Moment. Die Splitter funkeln im Sonnenschein, sie umschwirren mich wie ein Bienenschwarm im Blütenmeer. Doch allmählich löse ich mich davon, ich stürze unweigerlich auf die Erde zu. Ein letztes Mal sehe ich in die gelben Augen des Wolfs, sehe seinen ungerührten Gesichtsausdruck. Die Schlangenfrau stößt ein kurzes, aber heftiges Fauchen aus. Da hinein mischen sich die Geräusche der Schüler auf dem Hof, die seltsam verzerrt und langgezogen sind. Alles scheint sich wie im Traum unendlich langsam vor meinen Augen abzuspielen – und doch weiß ich, dass keine Sekunde vergeht, in der nicht die Köpfe der winzigen Personen da unten herumfliegen und zu mir heraufstarren. Sie reißen ihre Münder auf, zeigen auf mich und schreien irgendwas. Trotzdem dringt nicht ein Laut zu mir hoch. Der Wind streicht durch mein Haar und ich rieche den Frühling. Kannst du dir das vorstellen? In nicht einmal zwei Sekunden werde ich da unten zerschellen und ich sehe die Blüten auf den Wiesen und die ersten zarten Knospen an den Bäumen. Ich fühle mich schwerelos, frei wie ein Vogel … (11)
Es ist wunderbar, zu sterben , denke ich. Und meine Gedanken tragen mich federleicht durch die Luft, so, als habe ich jegliche Zeit der Welt. Es ist so einfach. Alles werde ich hinter mir lassen, die vielen Sorgen und den Kummer, den ich seit Jahren mit mir herumschleppe. Wie lange irre ich schon in dieser Welt herum! Wie lange habe ich gesucht und nichts gefunden! Ich habe keine Hoffnung mehr, dass meine Eltern mich finden und wieder mit nach Hause nehmen. Jetzt ist er da, mein Feind. Er entreißt mir den Kristall, für den ich sterben will.
Ich werde sterben …
Der Boden gleitet unabwendbar auf mich zu. Ich reiße die Augen auf und stelle mir vor, ich pralle dort unten auf und bleibe für immer liegen.
Weit aufgerissene Augen werden mich anstarren, die Lippen werden sich lautlos bewegen, werden schluchzen und vor Entsetzen zittern. Ich sehe Yannik vor mir und ich weiß plötzlich, dass er weinen wird. Haltlos und ohne Furcht, sich vor den anderen lächerlich zu machen. Dulack wird sich zu mir beugen, seine Hand wird über meine Wange streichen. Er wird sich fragen, ob ich es nicht doch war, seine Freundin aus Jugendtagen, damals in Amerika. Er wird keine Antwort bekommen, weil ich sie mit mir nehme. Nächtelang wird er wieder nicht schlafen können und sich Vorwürfe machen. Steinkaul wird angelaufen kommen mit entsetztem und furchtbar erschrockenem Gesicht … Aber warum schaut er nicht auf die tote Nadine herab, so wie ich es mir gerade zusammenfantasiere? Er richtet seine Augen auf mich – in der Luft! Ich habe den Boden noch immer nicht erreicht, was bilde ich mir da plötzlich ein?
‚Vergiss deine Aufgabe nicht!‘ , ruft Steinkaul mir zu und winkt aufgeregt mit beiden Armen. ‚Denk an deine Aufgabe, den Welten den Frieden zurückzubringen!‘
Ich fühle das Zeichen in meiner Hand. Es geht ein Brennen von ihm aus, glühend und doch auch so, dass es mir nicht die Haut versengt. Es will weiterleben, will benutzt werden – und es leuchtet in den schillerndsten
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