Verflixte Hühnersuppe (German Edition)
der Spiegel aus meinem Zimmer!
Ich steuere auf mein Zimmer zu. Die Vorahnung, die mich schon beschlichen hat, wird nun zur Gewissheit. Jemand ist dort gewesen und hat etwas verändert! Die Tür steht offen – und obwohl ringsherum das Chaos herrscht, ist in meinem Zimmer nicht ein Teil aus den Schränken herausgerissen. Nur die Spiegel sind verstellt, drei Stück sind so ausgerichtet worden, dass die Sonne, die gerade durch das Wohnzimmerfenster scheint, in ihnen reflektiert wird. Jeder, der über das Eingangstor springt, wird für einen Augenblick geblendet.
Sie wussten, dass ich komme!
Ich fahre herum und sehe zur Tür. Der Wolf hätte schon längst im Wohnzimmer stehen müssen, hätte er das gewollt. Er hätte ohne Probleme mit seinen stählernen Händen meine Gurgel umfassen und zudrücken können. Vielleicht wäre dann der Frosch herausgesprungen – und vielleicht wäre ich froh darüber gewesen. Aber er hat anderes mit mir vor. Er hat sich alles genau ausgerechnet. Wäre ich nur fünf Minuten später nach Hause gekommen, hätte die Sonne nicht mehr durch das Fenster geschienen und ich wäre am Tor nicht aufmerksam geworden. Was hat das zu bedeuten?
Ein weiterer Lichtstrahl kreuzt das Zimmer. Der vierte Spiegel! Er ist ebenfalls ausgerichtet worden! Gespannt verfolge ich den Lauf des Sonnenstrahls. Er endet im Wohnzimmer neben dem Sofa auf dem Boden. Dort liegen einige zerrissene Bücher und Zeitschriften, aber auch ein offenes Telefonbuch.
Meine Knie zittern noch immer, als ich mich bücke und mit den Fingern über die aufgeschlagene Seite des Buches fahre. Es ist eine Seite aus diesem Ort. Die Namen fangen mit Schm an und hören mit Schu auf.
Was soll denn das nun wieder? Ist der Lichtstrahl nur zufällig auf das Buch gerichtet? Wen kenne ich, der mit Sch anfängt? (13)
Ich überfliege die Namen der Reihe nach, bis ich an einem Eintrag hängen bleibe: Schreinerei Buchen, Weiherstraße 12 .
Anna arbeitet in einer Schreinerei!
Ich spüre wieder, wie der Froschleib in meinem Hals anschwillt, wie er zu bersten droht und wie ich das Gefühl bekomme, ohnmächtig zu werden. Ich ringe nach Luft. Mein Atem geht wie die Pfeife einer Lokomotive und ein eisiger Schauer durchfährt mich.
Sie haben Anna!
Ich weiß es so genau wie der Wolf meine Ankunft auf die Sekunde geplant hat. Er hat mich entkommen lassen, damit ich nach Hause zurückkehre und seinen Hinweis finde. Was muss ich als Nächstes tun?
Ich richte mich langsam auf. Obwohl sich ein bohrender Schmerz in meinen Kopf drückt, suche ich das Telefon, das ich schließlich unter zerbrochenem Porzellan finde. Dann hebe ich den Hörer ab.
Die Leitung ist tot.
Kapitel 10
oder
… wie eine Fliege im Licht herumzuschwirren
Ich stemme mich erschöpft vom Boden hoch, versuche ruhig zu atmen und bekämpfe den Schwindel. Warmes Blut läuft mir die Wange herunter, scheinbar habe ich mich an den Scherben geschnitten. Der Wolf will, dass ich in der Schreinerei nach Anna frage. Warum? Was hat er mit ihr angestellt?
Von einer dunklen Vorahnung überschwemmt stürze ich aus der Wohnung. Ich kenne das Viertel, in dem die Schreinerei liegt, durch meine Zeitungsbotengänge gut und nehme sogleich die Richtung auf. Noch bevor ich die Weiherstraße erreiche, sehe ich dunkle Rußwolken über den Dächern in den Himmel steigen.
„Nein!“, schreie ich und wieder laufen mir Tränen über die Wangen. „Du verdammter Wolf!“ Ich merke, dass sich einige Passanten nach mir umdrehen, aber das ist mir egal. Anna ist wie eine Mutter für mich und sie ist – verflixte Hühnersuppe! – in Gefahr! Da darf ich doch mal ein bisschen fluchen, oder?
Ich spüre kaum noch meine Beine, die meinen Körper die Straßen entlangtragen, als wäre er schwerelos. Ich fühle nur eine unsagbare Angst in mir aufkeimen. Sie führt sich auf wie ein herrschsüchtiges Wesen, das tief in mir geschlummert hat und sich nun in alle meine Glieder ausbreiten will. Sie lähmt meine Beine und drückt meinen Hals zusammen. Sie ist wie ein Verdurstender, der von meinem Willen trinkt, ihn aufsaugt, um mich in ihren eisigen Bann zu ziehen.
Ruhig atmen , schärfe ich mir ein. Ich muss das durchstehen! Vielleicht ist ja noch etwas zu retten …
Als ich die Schreinerei erreiche, muss ich mich durch eine schnatternde Menschenmenge zwängen. Im linken Teil des Gebäudes quillt dichter Rauch aus einem zerbrochenen Fenster, auch im rechten Anbau, vor dem ein riesiger Holzstapel gelagert ist, kann ich Flammen
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