Verflixter Kerl
Die wirft die Krabben einfach weg! Dabei waren das vor ein paar Stunden noch echt lebendige Tiere, die fröhlich durchs Meer geschwommen sind! Man darf Tiere doch nicht tot machen, wenn man sie dann nicht mal isst!"
"Es gibt halt Leute, die verstehen so etwas nicht", meinte Matthias bedauernd. "Die denken darüber nicht nach."
"Die Frau ist sowieso doof", meinte Sarah respektlos. "Die war auch im Zug, als wir neulich in Dagebüll angekommen sind, und als wir zum Schiff gingen, hat sie eine blöde Bemerkung über uns gemacht, nur weil wir für die Reise unsere alten Klamotten angezogen hatten. Ich hätte sie am liebsten gefragt, ob sie wenigstens anständige Bügelfalten in der Strumpfhose hat."
"Na, na!", schimpfte Matthias und zwinkerte seiner Tochter zu, die laut genug gesprochen hatte, dass einige der Umstehenden sie hören konnten und zu kichern begannen. Heimlich war er stolz darauf, dass seine Tochter ein loses Mundwerk hatte, denn immerhin zeugte es von einem wachen Verstand.
Er kaufte eine Tüte Krabben und beobachtete amüsiert, wie Sarah sich von einem der Fischer genau zeigen ließ, wie man das Krabbenfleisch am besten aus der Schale löste. Matthias war froh, dass sie es erklärt bekam – so konnte er es selbst leicht lernen, ohne sich zu blamieren.
Sarah angelte sich eine Krabbe nach der anderen aus der Tüte, und sie war ganz schön fix. Ihr Blick schweifte umher, und plötzlich entdeckte sie, wie einer der Fischer große flache Kisten zu einem Lieferwagen trug. "Ob da wohl Fische drin sind?" Sarah wartete die Antwort ihres Vaters gar nicht ab, sondern rannte zu dem Wagen hinüber. Matthias beobachtete sie, wie sie den Fischer ansprach und er sie daraufhin auf die Ladefläche des Wagens hob, damit sie in die verschiedenen Kisten schauen konnte. Anschließend ging sie an der Hand des schlaksigen, vollbärtigen Fremden auf das Schiff.
Es dauerte fast fünf Minuten, bis Sarah wieder auftauchte und dann mit ausgebreiteten Armen auf der schmalen Gangway wieder an Land balancierte. Sie kam strahlend auf ihn zu gelaufen. Der Fischer blieb an der Reling stehen und sah ihr nach, während er sich eine Pfeife anzündete.
"Du, der war ganz nett und hat mir alles erklärt. Jens heißt der und ist ein echter Fischer. Er hat mich sogar
min Deern
genannt. Die fangen außer den kleinen Krabben auch noch Garnelen und andere Krabbeltiere", sagte sie. "Und auf dem Schiff habe ich die Bottiche gesehen, wo die kleinen Krabben abgekocht werden, damit sie nicht so lange leiden müssen."
"Das hat er dir alles erzählt?"
"Ich habe ihn ausgefragt", gab Sarah zu. "Ich habe ihm einfach erzählt, dass ich später mal Reporterin werden will."
"Aha." Matthias fühlte, wie jetzt doch in ihm die Müdigkeit empor kroch. "Na, dann weißt du schon eine ganze Menge." Er gähnte. "Ich glaube, wir sollten jetzt doch heimgehen. Ich muss ein wenig schlafen. Für den Strand ist es noch nicht warm genug. Was machst du in der Zwischenzeit?"
"Lesen", sagte sie. Im gleichen Moment blieb sie vor einem kleinen Reisebüro stehen. "Du, da gibt es Ausflugsfahrten. Inselrundfahrt, Tagesfahrt nach Hamburg, Tagesfahrt nach Kiel... Machen wir das auch mal?"
"Keine schlechte Idee", fand Matthias. Er deutete auf eine Box mit Prospekten an der Tür. "Wir können ja so ein Faltblatt mal mitnehmen. Ich rufe dann heute Mittag da an, wenn ich wieder klar denken kann." Seine Zweifel, ob das überhaupt vor Mittwoch noch der Fall sein würde, behielt er lieber für sich.
Sarah legte den Kopf an seinen Arm, und eine Woge aus Wärme und Zuneigung durchströmte ihn, als sie sagte: "Du bist der tollste Papa der Welt."
Kapitel 5
Silke Schönbohm konnte an nichts anderes mehr denken als an diesen Mann mit seiner anfänglichen Unsicherheit, die ihm beim Tanzen so gründlich abhanden gekommen war, dass er sie schließlich ganz selbstverständlich umarmte. Seine wehmütigen Augen. Seine sanfte Stimme. Seine Küsse, zärtlich und voller Leidenschaft. All ihre Gedanken gehörten Matthias, und ihre Gefühle auch.
Nein!
, rief es in ihr.
Sie hatte sich fest vorgenommen, sich nicht zu verlieben. Es hatte sie so viel Kraft gekostet, Oliver zu vergessen, Wochen und Wochen, und es war eine schmerzvolle Prozedur gewesen. Wie konnte sie dann nur so blöd sein, ausgerechnet hierher zu fahren, wo sie damals ihre glücklichste, unbeschwerteste Zeit mit ihm erlebt hatte? Musste es nicht alte Wunden aufreißen, wenn sie die gleichen Schauplätze wieder sah – den
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