Verflixter Kerl
Rücken, um ihn wie eine Tasche zu tragen. Das war ihm im Gedränge lieber, damit er nicht versehentlich jemanden anrempelte, wenn er eine Drehung machte. Beim Abnehmen war er allerdings unachtsam, und als er den Rucksack in die andere Hand wechselte, stieß er versehentlich der rothaarigen Frau, die vor ihnen in der Schlange stand, in die Kniekehlen.
Die fuhr gleich herum. "Passen Sie doch auf, Mann!", fauchte sie ihn an.
"Entschuldigen Sie, das war unbeabsichtigt", erklärte Matthias. "Tut mir Leid."
"Das kann jeder sagen", schnappte sie zurück. Zum Glück war sie jetzt beim uniformierten Fahrkarten-Kontrolleur angelangt und zeigte ihr Ticket. Missmutig stapfte sie dann an Bord.
"Willst du nach unten?", fragte Matthias seine Tochter, als sie an Deck des Schiffes kamen. "Da ist es bestimmt wärmer."
Sarah schüttelte den Kopf. "Aber da sieht man nichts. Ich will aufs Meer schauen und die Möwen beobachten. Vielleicht haben wir ja Glück und sehen einen Seehund im Wasser schwimmen."
"Dann müssen wir nach vorn in den Bug", sagte Matthias. Allerdings weht da bestimmt ein besonders kalter Wind."
"Wir wärmen uns schon gegenseitig", erwiderte Sarah unbekümmert. Sie bahnten sich also einen Weg nach vorn. Trotz der Morgenkühle und des Windes aßen einige Leute hier auf den Bänken. Sie gingen an der mürrischen Rothaarigen vorbei und standen gleich darauf im Bug. "Es geht los!", verkündete Matthias und öffnete seine Jacke, um seine Tochter unter seine "Fittiche" zu nehmen und sie zu wärmen. Die schweren Dieselmotoren im Schiffsbauch sprangen mit dumpfem Donnergetöse an, die Fähre fuhr erst einige Meter rückwärts, bis sie an der Hafenmole fast vorbei war, vollzog dann eine langsame Drehung, um den Bug in Richtung Festland zu lenken und dann stampfend Fahrt aufzunehmen.
Möwen umkreisten die beiden im Bug und kamen im Sturzflug dicht heran, um knapp über ihren Köpfen wieder nach oben zu schwenken. Sarah griff in ihre Jackentasche. "Gut, dass ich daran gedacht habe, das alte Brötchen von gestern einzustecken." Sie warf ein Stück davon in die Luft. Mit wildem Geschrei jagten die Möwen um sie her, und eine fing den Brocken im Flug.
"Siehst du!", rief Sarah stolz in den Wind. "Ich wusste, das Möwen geschickt sind. Ich habe so etwas mal in der Sendung mit der Maus gesehen. Ich hatte nur keine Ahnung, das Möwen so riesig sind." Sie brach ein weiteres Stück ab und warf es lachend hoch. Wieder wurde der Brocken sofort von einem der Vögel in der Luft geschnappt.
Im gleichen Moment schrie Sarah erschrocken auf. In der linken Hand hatte sie nämlich noch den größten Teil des alten Brötchens gehalten, und eine der Möwen war so dreist gewesen, es ihr direkt aus der Hand zu reißen. "Hast du das gesehen, Papa!", rief Sarah. "Die hätte mir die Hand abgerissen, wenn ich nicht sofort losgelassen hätte!"
Matthias drückte sein Kind an sich. "Wahrscheinlich nicht, aber da siehst du mal, wie gierig diese Viecher sind. Sie haben früher immer nur die Fischerboote umkreist, um einen Teil des Fangs zu erbeuten. In den letzten Jahren kamen immer mehr Touristen hierher und haben Brot und allerlei anderes an die Möwen verfüttert. Die Tiere haben sich an die Menschen gewöhnt und werden immer frecher. Hast du dir weh getan?"
Sarah schüttelte den Kopf. "Nur erschrocken." Sie deutete nach vorn. "Ist da das Festland?"
Matthias nickte. "Sieht nach Nebel aus. Vielleicht bekommen wir sogar Regen."
Er sollte recht behalten. Als die Fähre nach einer Dreiviertelstunde Fahrt in Dagebüll anlegte, gerieten sie in einen feinen, unangenehmen Nieselregen. Matthias und Sarah hatten sich mittschiffs untergestellt und waren dadurch die ersten, die von der Fähre gingen. Sie rannten auf den bereit stehenden Bus zu, zeigten dem Fahrer ihre Tickets und konnten sich ihren Platz aussuchen. Natürlich wollte Sarah ganz nach hinten auf die Rückbank. Direkt hinter ihnen drängten die anderen Passagiere herein.
Als Matthias Graf an der Reihe der Leute vorbei blickte, stutzte er. War das nicht Silke da vorn? Er hatte das Gesicht der jungen Frau nur kurz gesehen, und sie sah natürlich anders aus als am Samstagabend in der Diskothek, also konnte er sich auch täuschen, vor allem durch diese Entfernung. Sie schien ihn jedenfalls nicht bemerkt zu haben, sondern setzte sich gleich hinter den Fahrer.
Während der Fahrt reckte Matthias mehrfach den Hals, um einen Blick auf die Frau da vorne werfen zu können, sah aber nur den Hinterkopf.
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