Verflixter Kerl
war für sie eine Mahnung:
Verlieb dich nicht, Silke! Niemand darf dir noch einmal so weh tun!
Sie merkte gar nicht, dass sie sich versteifte, aber dann fragte Matthias: "Ist dir nicht gut?"
"Ein wenig zu warm", erwiderte sie. "Ich brauche frische Luft."
Fürsorglich führte er sie hinaus. Eine sanfte, überraschend warme Brise roch würzig nach Salz und Meer. Es war dunkel, aber die Sterne und der Mond, der sich hinter einer schmalen Wolkenbank versteckt hatte, boten genug Licht. Die Gegend hier am Nordrand von Wyk war nicht besonders einladend. Zwischen niedrigen Fischerhäusern konnte man hin und wieder einen Blick auf die Salzwiesen und aufs Wattenmeer werfen, das beinahe still im Mondlicht lag. Das Gelände einer früheren Fischfabrik diente einem Gebrauchtwagenhändler als Lagerplatz.
"Schade, dass hier kein Strand ist", murmelte Silke. "Ich würde jetzt so gern durch den Sand spazieren, um meine Füße zu kühlen."
"Es ist gar nicht besonders weit", erwiderte Matthias mit rauer Stimme. "Ich habe gestern bei Tag den Weg erkundet. Zehn Minuten durch die Altstadt, und schon sind wir da. Hast du Lust?"
Silke nickte. Sie konnte ja nun nicht gut nein sagen, nachdem sie gerade erst den Wunsch geäußert hatte, jetzt am Strand zu sein.
Sie mussten zuerst eine Hauptstraße überqueren, auf der auch um diese Uhrzeit noch etliche Autos unterwegs waren. Als sie über den Asphalt liefen, legte Matthias fürsorglich einen Arm um ihre Schulter und ließ ihn auch da, als sie die andere Seite erreicht hatten. So spazierten sie durch die gemütlich beleuchtete Altstadt mit ihren kleinen Tee- und Andenkenläden, Boutiquen und Restaurants, schauten hier und da in die Schaufenster und stellten fest, dass sie in vielen Dingen einen ähnlichen Geschmack hatten. Es war eine Wohltat für Silke, Seite an Seite mit diesem Mann, der doch für sie noch ein Fremder war, durch die Straßen zu spazieren und sich ganz unbefangen mit ihm zu unterhalten. Seine Berührung verursachte ihr ein wohliges Schaudern, und sie verspürte eine Geborgenheit, wie sie sie lange nicht mehr bei einem Mann empfunden hatte.
Es dauerte etwas länger, bis sie den Strand erreicht hatten, wohl fast eine halbe Stunde, aber das machte Silke absolut nichts aus. Am Anfang der Promenade stellten sie fest, dass sie nicht die einzigen waren, die auf die Idee zu einem Spaziergang gekommen waren; es waren etliche junge und ältere Paare hier unterwegs. Die Laternen am Rand des gepflasterten Wegs waren störend, beinahe grell.
"Lass uns unten durch den Sand gehen", schlug Silke vor. "Das tut den Füßen gut." Sie zog ihre Schuhe aus und ging den mit Gras bewachsenen Deichhang hinunter. Im Dunkeln wirkten die zahlreichen Strandkörbe unheimlich, wie ungeschlachte, nach vorn gebeugte düstere Gestalten. Plötzlich spürte Silke einen schmerzhaften Stich in der Fußsohle und sog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein.
"Was ist passiert?" fragte Matthias gleich besorgt.
"Ich glaube, ich bin in eine Glasscherbe getreten", seufzte Silke. "Es tut unheimlich weh."
"Zeig mal." Ohne viel Federlesens hockte er sich vor ihr in den Sand und hob ihren Fuß an, um ihn im Licht der Laterne oben auf dem Promenadenweg zu betrachten. Seine Berührung hatte etwas Zärtliches. "Es blutet nicht", stellte er fest. "Du hast Glück gehabt. Vermutlich war es nur eine zerbrochene Muschel. Am besten gehen wir ganz vorn am Rand des Wassers entlang, da können wir besser auf so etwas achten, weil sich das Mondlicht am nassen Boden spiegelt."
Silke nickte. Er erhob sich und stützte sie. Das Auftreten tat noch weh, aber mit jedem Schritt ließ der Schmerz ein wenig nach. Sie gingen zwischen den Strandkörben zum Wasser, und Silke musste unwillkürlich kichern, als sie auf diesem kurzen Weg gleich mehrere Liebespaare aufschreckten, die das Dunkel der Strandkörbe zu zärtlicher Zweisamkeit nutzten.
Der feuchte Sand unmittelbar am Rand des Wassers war angenehm kühl und vertrieb den letzten Rest des Schmerzes aus der Fußsohle. Matthias hatte Recht, stellte Silke fest: Hier konnte man leicht erkennen, wohin man trat. Das Licht des Dreiviertelmondes, der längst hinter seiner Wolkenbank hervorgekommen war, spiegelte sich silbrig im feuchten Sand. Ab und zu kam eine flache Welle weit herauf und umspülte angenehm kühl ihre Füße.
"Machst du eigentlich Urlaub hier auf der Insel oder wohnst du hier?", wollte Silke wissen. Eigentlich wusste sie die Antwort: Sein Dialekt klang nicht
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