Verflixtes Blau!
glaubt, sie sei schuld am Tod meiner Schwester Marie. Das warst du dann auch, oder?«
» Weißt du noch, wie gut sich die beiden hier anfühlen? Hm, fass mal an!«
» Knöpf deine Bluse zu, Juliette. Das wird nichts werden.«
» Aber wenn du es schon anbietest«, sagte Henri. » Während ihr zwei euch unterhaltet…«
» Dann eben nicht«, sagte Juliette, wandte sich ab und knöpfte ihre Bluse wieder zu. » Dass Marie starb, kam mir gelegen. Ich habe nicht dafür gesorgt, dass sie vom Dach fällt, aber es diente unserem Zweck, und so wurde sie das Opfer. Der arme Père Lessard starb nicht fürs Sacré Bleu. Das war die alte Schlampe Schicksal.«
» Schicksal ist auch ein Mensch?«, fragte Henri.
» Nein, das sagt man nur so. Und, ja, Lucien, ja, ja, ja, das Leben deiner Schwester war der Preis fürs Sacré Bleu. Tut mir leid. Aber ich bin kein Ungeheuer. Ich liebe dich. Ich liebe dich, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind.«
» Und du hast von mir Besitz ergriffen.«
» Um dich kennenzulernen. Keiner kennt dich so wie ich, Lucien. Ich weiß, wie sehr du deinen Papa geliebt hast. Ich weiß es wirklich. Ich weiß, dass Minettes Tod dir dein kleines Herz gebrochen hat. Ich weiß um deine Leidenschaft für die Malerei wie kein anderer. Ich weiß, wie es sich anfühlt, jeden Morgen ein perfektes Baguette um die Ohren geschlagen zu bekommen. Ich war dabei, als du die elastischen, magischen Möglichkeiten deines Pimmels entdeckt hast. Ich…«
» Das reicht.«
» Du bist mein Ein und Alles, Lucien. Jetzt bin ich frei. Ich bin dein. Deine Juliette. Wir können zusammen sein. Du kannst malen.«
» Und was willst du machen?«, fragte Lucien. » Im Hutladen arbeiten?«
» Nein, ich habe Geld. Ich werde Modell sitzen für dich. Ich werde dich inspirieren.«
» Du hast ihn mit der Syphilis angesteckt, stimmt’s?«, sagte Toulouse-Lautrec.
» Nein, habe ich nicht. Aber es scheint, als müsste Monsieur Lessard unser Glück erst noch bedenken. Lieber Henri. Lieber, tapferer, Henri, du hast hier doch sicher irgendwo Cognac, oder?«
» Aber gewiss doch«, sagte Toulouse-Lautrec.
28
Maman betreffend
N achdem der Farbenmann tot war, wartete Lucien eine Woche, um seinen Zorn etwas abkühlen zu lassen, bis er bereit war, Régine zu erzählen, dass ihr Vater kein Schürzenjäger gewesen war und sie keine Schuld am Tod ihrer Schwester Marie trug. Der Trick bestand darin, es ihr zu erzählen, ohne die ganze bizarre Geschichte von Juliette und dem Farbenmann preiszugeben. Er war seinen Pflichten in der Bäckerei treu nachgekommen, hatte seine Schwester lange schlafen lassen und sie am Tresen abgelöst, sobald er fertig gebacken hatte, was einiges zu ihrer Aufheiterung beitrug.
Es war Donnerstagmorgen gegen zehn Uhr, als der größte Andrang des Tages vorüber war und er sie ein hübsches Lied vor sich hin singen hörte, während sie die Krümel hinter dem Tresen zusammenfegte. Da beschloss er, ihr das Geheimnis anzuvertrauen, von dem er glaubte, es würde seiner Schwester die Schuldgefühle nehmen.
» Régine, Maman ist ein Flittchen«, sagte er. » Ich dachte, das solltest du wissen.«
» Wusste ich’s doch«, sagte ein alter Mann, der auf einem der hohen Hocker am Fenster saß und sich bisher so still verhalten hatte, dass er Teil des Mobiliars geworden war.
» Kümmern Sie sich einfach um Ihre eigene Angelegenheiten, Monsieur Founteneau.« Sie wandte sich derart abrupt zu Lucien um, dass sie dem Besen, wäre er ihr Tangopartner gewesen, das Genick gebrochen hätte. » Vielleicht lieber hinten«, knurrte sie.
» Oh, von hinten gefällt ihr sicher auch!«, sagte Monsieur Founteneau. » Man sieht es schon daran, wie das Flittchen damit wackelt.«
Ritterlich trat Lucien zwischen seine Schwester und den Kunden. » Monsieur, Ihr sprecht hier von meiner Mutter.«
» Gebt nicht mir die Schuld. Ihr habt davon angefangen«, sagte Monsieur Founteneau.
Régine packte Lucien beim Ärmel und zerrte ihn durch den Vorhang in die Küche. » Warum, um alles in der Welt, sagst du so was? Und dann noch vor einem Kunden?«
» Es tut mir leid. Ich wollte es dir schon so lange sagen. Ich meinte nicht, dass Maman ein Flittchen ist, ich meinte, sie ist das Flittchen.«
» Jeden Moment könnte sie die Treppe herunterkommen. Wenn sie dich umbringt, brauchst du auf meine Hilfe nicht zu zählen.«
Régine wollte ihn stehen lassen. Lucien nahm sie beim Arm und drehte sie herum. » Du sollst es erfahren, aber du darfst es nicht Maman
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