Verflixtes Blau!
und sich kaum von dem Akt abwenden konnte.
» Das ist meine Mutter, Henri.«
» Guck mal, es ist signiert: › L. Lessard‹.«
» Verbrenn es.«
» Willst du denn die anderen nicht sehen? Es könnten Meisterwerke darunter sein, die noch kein Mensch zu Gesicht bekommen hat.«
» Und so wird es auch bleiben. Wenn wir sie uns ansehen, bringen wir es vielleicht nicht mehr fertig. Verbrenn sie.« Lucien trat aus der Kammer und stand unter dem riesigen Gewölbe, wo nach wie vor blaue Flammen auf den verkohlten Resten des Farbenmannes züngelten. Er schüttelte sich.
Henri klappte den Turner wieder vor den Akt von Madame Lessard, dann trat er einen Schritt zurück. » Ich habe den Farbenmann getötet. Ich finde es nicht fair, dass ich auch noch die Bilder verbrennen soll. Es kommt mir vor wie ein Sakrileg.«
» Du hast doch immer gesagt, du entstammst einer langen Reihe alteingesessener Ketzer.«
» Auch wieder wahr. Hier, halte deine Kerze, damit ich etwas sehen kann. Ich muss die Laterne kurz ausmachen, um ein bisschen Öl auszugießen.«
Eine Minute später leuchtete die kleine Kammer wie der Ofen eines Glasbläsers. Wie Schlangenzungen leckten die Flammen in das Gewölbe hinaus. Pechschwarze Rauchschwaden zogen an der Decke entlang.
Henri las die Karte im Licht des Feuerscheins. » Wenn wir uns an diese Wand halten, bringt sie uns zur Treppe, die nach oben führt.«
» Dann sollten wir gehen.«
» Was ist mit dem Esel des Farbenmannes?«
» Wir wissen nicht, wie weit er gelaufen ist, Henri. Wir haben ohnehin kaum noch Öl in der Lampe. Vielleicht findet er den Weg von allein. Er war schon mal hier unten.«
Toulouse-Lautrec faltete die Karte zusammen und machte sich auf den Weg die Wand entlang, benutzte die ungeladene Schrotflinte als Krücke und hinkte schwer, da er nun nicht mehr leise sein musste.
» Hast du Schmerzen?«, fragte Lucien und hielt die Laterne hoch, damit sein Freund vorn etwas sehen konnte.
» Ich? Was soll mir das noch ausmachen, nachdem ich einen Menschen getötet und in einer Höhle voller Meisterwerke verbrannt habe?«
» Tut mir leid, Henri«, sagte Lucien.
» Aber das ist doch gar nichts, wenn man bedenkt, dass du unter Umständen deine Mutter gevögelt und deinen Vater ermordet hast.«
» So war das ganz sicher nicht.«
» Und wie war es dann?«
» Ich weiß es nicht.«
» Meinst du, deine Mutter würde mir Modell sitzen? Mein Interesse ist rein künstlerischer Natur.«
» Du hast Minette ermordet!«
Das waren die ersten Worte, die er zu Juliette sagte, als er sie in Henris Atelier vorfand, wo sie schon wartete.
» Wen?«, fragte sie.
» Minette Pissarro. Ein kleines Mädchen. Ich habe sie geliebt, und du hast sie ermordet.«
» Ich musste mich zwischen euch entscheiden, Lucien. Einer von euch beiden musste bezahlen. Da habe ich sie gewählt.«
» Du hast gesagt, der Farbenmann hätte die Wahl getroffen.«
» Ja, und er wollte dich. Ich habe es ihm ausgeredet.«
» Du bist ein Ungeheuer.«
» Dafür ist deine Mutter eine Hure.«
» Aber nur, weil sie von dir besessen war.«
» Oh, das weißt du?«
» Ich habe das Bild gesehen.«
» Dann ist der Farbenmann also tot? Wirklich tot? Mir war, als hätte ich gespürt, wie er losließ.«
» Ja«, sagte Henri, » ich habe ihn erschossen. Und die Bilder sind verbrannt. Du bist frei.«
» Der kleine Scheißkerl. Mir hat er erzählt, er hätte den Akt von deiner Mutter schon vor Jahren verbraucht.«
» Dann hast du meinen Vater also auch auf dem Gewissen?«
» Was? Pfff. Nein. Quatsch. Natürlich nicht. Weißt du, Lucien, dein Vater war ein ausgesprochen liebenswerter Mann. Er liebte die Malerei. Ausgesprochen liebenswert.«
Henri sagte: » Wenn du Lucien warst und außerdem Luciens Mutter, dann hat er– technisch gesehen– mit seiner eigenen…«
» Mein Vater starb in seinem Atelier«, sagte Lucien. » Und keines seiner Bilder wurde je gefunden. Erklär mir das.«
» Hey, guck mal, was ich hier habe!«
» Die nützen dir jetzt auch nichts mehr«, sagte Lucien.
» Wovon sprachen wir noch?«, fragte Henri.
» Ich habe deinen Vater nicht umgebracht, Lucien. Es war sein Herz. Er ist einfach gestorben. Aber immerhin ist er bei etwas gestorben, das ihm große Freude bereitete.«
» Malen?«
» Klar, nennen wir es malen.«
» Meine Schwester Régine glaubt schon ihr Leben lang, mein Vater hätte meine Mutter betrogen.«
» Obwohl er sie in Wahrheit mit deiner Mutter betrogen hat«, sagte Henri.
» Und sie
Weitere Kostenlose Bücher