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Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)

Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)

Titel: Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Aretz
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ich auf dieses Wiedersehen gewartet und so oft habe ich mir vorgestellt, wie sich mein Vater freuen, wie er auf mich zukommen und mich in seine Arme nehmen würde.
    Verflixt, ich weiß, jetzt werde ich sentimental, aber es ist anders, als auf seinen Geburtstag zu warten, selbst die Vorfreude auf Weihnachten stellt dieses Wiedersehen in den Schatten. Ich darf mich vorher sogar waschen, habe mich notdürftig gekämmt und mir die schmutzige Kleidung zurechtgezupft. Und jetzt hole ich tief Luft, als ich durch die Tür des Direktorenzimmers schreite …
    … und dann sehe ich ihn nicht einmal.
    „Vater?“, rufe ich in den Raum hinein.
    Es ist nicht das Büro, in dem er vor meiner Reise auf die Erde gearbeitet hat, dieses hier ist größer, unüberschaubarer und – prunkvoller. Der Boden ist mit blütenweißen Kristallfliesen bedeckt, die Wände sehen aus, als wären sie mit Goldblättern tapeziert. Von den meterhohen Fenstern fallen glänzende bordeauxrote Gardinen bis auf den Boden und sind wie Wasserfälle drapiert. Die Sitzgarnitur ist wirklich schnieke: weiße Seide mit Rüschenkissen, ein Mahagonitisch davor, auf dem schlanke Flaschen mit grüner, blauer oder klarer Flüssigkeit stehen, daneben gleich ein paar Kristallgläser, Gebäck, Obst. Natürlich importiertes Obst von einer anderen Welt.
    Ich rümpfe die Nase. Dort sollte ich mich nicht hinsetzen, in meinem Aufzug würde es mein Vater sicherlich auch nicht gutheißen. Aber darauf kommt es jetzt nicht an.
    Langsam gehe ich weiter, an einigen Vitrinen mit Orden und Auszeichnungen vorbei, auf denen mehrere Büsten berühmter Leute stehen. An den Wänden kann ich die vielen Gemälde bewundern, die die toten Präsidenten der letzten Jahrhunderte zeigen. Schließlich stoppe ich vor einem riesigen weißen Schreibtisch.
    „Nadi – da bist du ja!“, sagt der Mann dahinter. Er steht auf, geht um seinen Schreibtisch herum und streckt mir beide Arme entgegen.
    Ich starre ihn an. Hatar’ali ist älter geworden, sein Haar weißer und seine Gesichtszüge kantiger. Die Ader an seiner Schläfe, die sonst immer gepocht hat, wenn es Ärger gab, ist inzwischen so dick angeschwollen wie eine Bohne. In seinem superguten Anzug sieht er geschäftsmäßig aus, aber seine Augen sind leer und sein Lächeln kurz.
    Ich nehme die einladende Geste an, aber ich merke, dass uns etwas auf Distanz hält. Meine Freude, ihn wiederzusehen, ist genauso kurz wie die Umarmung. Er geht zu seinem Schreibtisch zurück und beugt sich direkt über ein Terminal.
    „Setz dich!“, sagt er knapp und zeigt auf einen kleinen Hocker neben einem der breiten, bequemen Sessel, die für Besucher gedacht sind.
    Ich bleibe stehen. „Warum hast du mich nicht von der Erde geholt?“, frage ich.
    Mein Ton soll ruhig sein, ohne jegliche Empörung – was sich allerdings als sehr schwierig herausstellt, denn ich fühle Wut aufkochen. Nein, sie kocht nicht, sie brodelt wie die Lava eines Vulkans, der kurz vor dem Ausbruch steht.
    „Die Zeit ist noch nicht reif.“ Er nimmt einen Stift und unterschreibt auf dem Bildschirm. „Wir haben dir gesagt, dass wir dich holen, sobald sich die Lage hier beruhigt hat.“
    „Ihr habt mich 37 Jahre auf der Erde zurückgelassen! 37 Jahre! Das ist mehr als sechs Perioden! Hörst du? Sechs Perioden!“
    „Wie ich sehe, bist du nicht einen Tag älter geworden.“ Er blättert weiter und liest den nächsten Text. Nur kurz schaut er auf. „Aber die Haare hast du anders. Schrecklich, das lässt du sofort ändern! Und dann studierst du da weiter, wo du aufgehört hast! Wo ist der Kristall? Leg ihn mir auf den Tisch!“
    Ich rühre mich nicht. Nicht einen Millimeter.
    Endlich sieht er auf.
    „Ich hab ihn nicht“, sage ich und kann nicht verhindern, dass meine Stimme triumphierend klingt.
    „Was?“ Hatar’ali springt auf. Seine Ader pocht nun so stark, dass ich denke, sie würde gleich platzen. Den Stift pfeffert er auf die Schreibunterlage, aber seine Augen sehen mich ängstlich, fast erschrocken an. „Was hat das zu bedeuten?“
    „Ihr habt mich im Stich gelassen“, sage ich ruhig. „Ich wusste nicht, ob ihr noch lebt. Da habe ich ihn eingesetzt. Die Schlangenmenschen sind gekommen und haben ihn mir abgenommen …“
    „Du hast das Zeichen eingesetzt? Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Sein Atem geht stoßweise, als hinge er gerade mit dem Kopf 2283 Meter über dem Erdboden. „Wir haben so viel Vertrauen in dich gesetzt, haben geglaubt, dass du den

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