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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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des Tschaderi begegnet dem von Rassul, der die Atempause nutzt, um wieder seinen schmerzenden Knöchel zu massieren. Sie geht weiter, hinter den Jugendlichen her, eiliger und unruhiger als zuvor.
    Hinkend, atemlos, nimmt er die Verfolgung wieder auf. An einer Kreuzung biegt sie in eine größere, belebtere Straße ein. An der Ecke angekommen, bleibt Rassul wie angewurzelt stehen, verblüfft angesichts Dutzender vor sich hin trippelnder Frauen im himmelblauen Tschaderi. Welcher soll er folgen?
    Verzweifelt geht er los und irrt durch den Strom verschleierter Gesichter. Lauert auf einen winzigen Hinweis – einen Blutfleck am Zipfel eines Tschaderi, eine unter einem Arm versteckte Schachtel, verdächtige Hast … Er kann nichts entdecken. Ihm wird schwindelig, und er bleibt stehen, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Wieder spürt er Übelkeit in sich aufsteigen. Schwitzend zieht er sich in den Schatten einer Mauer zurück, krümmt sich zusammen und erbricht erneut gelbliche Galle.
    Vor seinem stumpfen Blick ziehen die Füße der Passanten vorbei. Erschöpft, wie er ist, nimmt er die Geräusche kaum noch wahr. Alles versinkt in Stille: das Kommen und Gehen der Leute, ihre Gespräche, das Stimmengewirr der Straßenhändler, das Gehupe und der Verkehr …
    Die Frau ist verschwunden. Verloren inmitten der anderen, gesichtslos.
    Aber wie konnte sie sich davonmachen und nana Alia – bestimmt eine ihrer Angehörigen – in einem solchen Zustand zurücklassen? Sie hat geschrien, und das war’s. Nicht mal um Hilfe gerufen hat sie. Wie clever sie ihren Coup kalkuliert, den Entschluss gefasst und die Sachen gestohlen hat. Und das alles, ohne ein Verbrechen zu begehen. Was für ein Luder!
    Ohne ein Verbrechen zu begehen, ja, aber nicht ohne einen Verrat. Sie hat ihre Nächsten verraten. Ein Verrat ist schlimmer als ein Verbrechen.
    Das ist nicht ganz der richtige Moment, um Theorien aufzustellen, Rassul. Schau, jemand bietet dir Geld an, fünfzig Afghani.
    Für wen hält der mich denn, der Kerl?
    Für einen Bettler. Wie du elend auf dem Gehsteig kniest, in diesen dreckigen, zerlumpten Kleidern, schlecht rasiert, mit deinen tiefliegenden Augen und fettigen Haaren, gleichst du eher einem Bettler als einem Verbrecher. Einem Bettler allerdings, der das Geld verschmäht.
    Der Mann schwenkt ungläubig den Schein vor Rassuls verstörten Augen. Nichts zu machen. Er drückt das Geld in Rassuls knochige Faust und geht weiter. Rassul senkt den Blick und starrt auf seine Hand.
    Da hast du den Preis für dein Verbrechen!
    Ein bitteres Lächeln lässt seine blutleeren Lippen erzittern. Er schließt die Faust, will aufstehen, als ein ohrenbetäubender Lärm ihn festnagelt.
    Eine Granate explodiert.
    Die Erde bebt.
    Manche werfen sich zu Boden. Andere rennen schreiend umher.
    Dann eine zweite Granate, noch näher, noch furchterregender. Rassul wirft sich ebenfalls zu Boden. Um ihn herum versinkt alles im Chaos, im Lärm. Von einem riesigen Flammenmeer steigt schwarzer Rauch auf, der das ganze Viertel am Fuß des Berges Asmai im Zentrum von Kabul erfüllt.
    Nach einigen Minuten recken sich, wie staubbedeckte Pilze, nach und nach Köpfe in die beklemmende Stille empor. Da und dort Ausrufe:
    »Es hat die Tankstelle erwischt!«
    »Nein, das Erziehungsministerium.«
    »Nein, die Tankstelle.«
    Rechts neben Rassul, nicht weit von ihm, liegt ein alter Mann flach auf dem Bauch und sucht mit verzweifeltem Blick etwas auf dem Boden, während er vor sich hin murmelt: »Ihr könnt mich mal mit eurer Tankstelle und eurem Ministerium … Wo sind meine Zähne? Gott, wo hast du dieses Heer von Gog und Magog hergenommen? Meine Zähne …« Er tastet den Boden unter seinem Bauch ab. »Hast du mein Gebiss gesehen?«, fragt er Rassul, der ihn mit schiefem Blick anstarrt, als fragte er sich, ob der Alte noch all seine Sinne beisammenhat. »Es ist mir aus dem Mund gefallen. Ich habe es verloren …«
    »Verzieh dich, baba , wozu braucht man denn in Zeiten von Hungersnot und Krieg ein Gebiss?«, grinst ein Bärtiger, der in seiner Nähe liegt.
    »Warum denn nicht?«, antwortet der Alte entrüstet, mit fester Stimme und voller Stolz.
    »Was für ein Glückspilz«, sagt der Bärtige, steht auf und klopft sich den Staub von den Kleidern. Die Hände in den Taschen, entfernt er sich unter dem argwöhnischen Blick des Alten, der leise vor sich hin schimpft: » Koss-madar , dieser Hurensohn hat mein Gebiss gestohlen … ganz sicher hat er es gestohlen.« Dann dreht er

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