Verflucht sei Dostojewski
verschwindet das Geschrei aus der Gasse, oder aus seinem Kopf. Er löst sich von der Mauer und will weitergehen. Der Schmerz im Knöchel lähmt ihn. Sein Gesicht verzieht sich. Er lehnt sich wieder an die Mauer und bückt sich, um seinen Fuß zu massieren. Aber in ihm drin beginnt es zu brodeln. Von Übelkeit erfasst, beugt er sich noch weiter vor und erbricht eine gelbliche Flüssigkeit. Die Gasse dreht sich um ihn, mitsamt ihrem Müll. Er legt den Kopf in die Hände und lässt sich, den Rücken an die Mauer gepresst, zu Boden gleiten.
Mit geschlossenen Augen verharrt er eine Weile, hält den Atem an, als lausche er auf einen Schrei, eine Klage aus dem Haus der nana Alia. Nichts. Nichts als das Pochen des Blutes in seinen Schläfen.
Vielleicht ist die Frau beim Anblick der Leiche in Ohnmacht gefallen.
Hoffentlich nicht, denkt er.
Wer war diese Frau, dieses verfluchte Miststück, das alles verdorben hat?
Hat wirklich sie es getan oder … Dostojewski?
Dostojewski, ja, er war es! Mit seinem Verbrechen und Strafe hat er mich niedergeschmettert, paralysiert. Er hat mir untersagt, dem Schicksal seines Helden Raskolnikow zu folgen: eine zweite Frau – eine unschuldige diesmal – zu töten, das Geld und die Schmuckstücke einzustecken, die mich an die Tat erinnert hätten … von Gewissensbissen heimgesucht zu werden, in einem Abgrund der Schuld zu versinken, im Zuchthaus zu enden …
Na und? Das wäre jedenfalls besser, als wegzulaufen wie ein Vollidiot, wie ein Trottel von einem Verbrecher. Mit Blut an den Händen, aber leeren Taschen.
Wie absurd!
Verflucht sei Dostojewski!
Seine Hände pressen sich nervös um sein Gesicht, verschwinden dann in den krausen Haaren, um im schweißnassen Nacken aufeinanderzutreffen. Auf einmal durchzuckt ihn ein schrecklicher Gedanke: Wenn die Frau nicht nana Alias Tochter ist, kann sie alles an sich reißen und sich seelenruhig davonstehlen. Und ich? Meine Mutter, meine Schwester Donia, meine Verlobte Suphia, was soll dann aus ihnen werden? Für sie habe ich doch den Mord begangen. Diese Frau hat kein Recht, davon zu profitieren. Ich muss zurück. Zum Teufel mit meinem Knöchel!
Er steht auf.
Macht sich auf den Weg.
ZURÜCK AN DEN ORT des Verbrechens. Welch eine Falle! Wo doch jeder weiß, dass es ein fataler Fehler ist, dahin zurückzukehren. Ein Fehler, der schon manch einen gewitzten Verbrecher ins Verderben geführt hat. Hast du nicht gehört, was die alten Weisen sagen? Geld ist wie Wasser, ist es verflossen, kommt es nicht zurück . Alles ist aus. Und vergiss nicht, dass ein Übeltäter nur eine Chance hat; verpasst er sie, ist alles dahin; jeder Versuch, die Sache zu retten, führt unausweichlich ins Unglück.
Er bleibt stehen, blickt sich um. Alles ist ruhig und still.
Er massiert sich den Knöchel, dann geht er weiter. Nicht sehr überzeugt von den Worten der alten Weisen. Mit entschiedenen, raschen Schritten gelangt er an eine Kreuzung. Wieder bleibt er stehen, nur kurz, um Atem zu schöpfen, dann schlägt er den Weg ein, der zum Ort des Verbrechens führt.
Hoffen wir, dass die Frau wirklich in Ohnmacht gefallen ist neben der Leiche der Alten.
Jetzt ist er in der Straße seines Opfers. Überrascht von der Stille, die über dem Haus liegt, verlangsamt er seine Schritte. Ein Hund, der im Schatten einer Mauer döst, erhebt sich bei seinem Anblick träge und rafft sich zu einem halbherzigen Knurren auf. Rassul erstarrt. Zögert. Lässt die Zeit verstreichen, um sich, widerwillig, von der Absurdität seiner Neugier zu überzeugen. Gerade als er umdrehen will, hört er hastige Schritte im Hof des Hauses der nana Alia. Erschrocken drückt er sich an die Wand. Eine mit einem himmelblauen Tschaderi verhüllte Frau kommt aus dem Haus und macht sich eilig davon, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Ist sie es? Bestimmt. Sie hat das Geld und den Schmuck gestohlen und flieht nun.
O nein! Was hast du es so eilig, Ungläubige? Du hast kein Recht, dieses Geld, diesen Schmuck anzurühren. Das gehört Rassul. Bleib stehen!
Die Frau beschleunigt ihre Schritte, verschwindet in einer Gasse. Trotz seines verstauchten Knöchels nimmt Rassul die Verfolgung auf. Er entdeckt die Frau in einem dunklen Durchgang. Lärmende Schritte und das Geschrei einiger Jugendlicher, die die Gasse herunterkommen, bremsen seinen Elan. Er drückt sich an die Mauer, um sich zu verstecken. Trotz ihrer Eile tritt die Frau zur Seite, um die Jugendlichen vorbeizulassen. Ihr Blick hinter dem Gitter
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