Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
selbst nicht wahrhaben wollen. Ihre Wahnsinns-Porzellanhaut, die großen blauen Augen. Denn sie war dick gewesen. Nicht mollig oder pummelig, sondern dick. Und das allein schien für sie zu zählen. Eine Million Minuspunkte. Und doch war sie die netteste und lustigste Person gewesen, die Mika kannte. Ihre beste Freundin. Und nun war sie schon seit fünf Monaten tot, verrottete ihr Körper in diesem Sarg tief in der Erde, fraßen Würmer sich an all dem satt, was Isa zu viel gewesen war.
Mika schauderte. Fröstelnd zog sie die Arme um die Schultern und wandte sich von ihrem Spiegelbild ab.
Die Jalousien ließ sie nur zur Hälfte herunter. Dunkelheit machte ihr Angst. Sie nahm das Handy aus der Handtasche, um es auszuschalten, und entdeckte eine SMS. Von ihrer Mutter. Natürlich. Es ist schon nach zwei. Soll ich dich irgendwo abholen? Mika verzog das Gesicht.
Keine weitere Nachricht. Keine SMS von Daniel. Endlich gab er auf. Endlich hatte er verstanden, dass es vorbei war.
3
Dühnfort ging als Erster ins Bad. Frisch geduscht trat er kurz vor sechs auf den kleinen Küchenbalkon. Die Luft war nach dem Regenguss in der Nacht satt von Feuchtigkeit, der Himmel jedoch wieder von so verheißungsvollem Blau wie beinahe an jedem Tag in den letzten sechs Wochen dieses Jahrhundertsommers. Das Thermometer stand bereits bei zweiundzwanzig Grad. Aus den Lichtinseln, die sich zwischen den Schatten der Bäume auf dem Alten Südfriedhof mit der aufsteigenden Sonne stetig Platz eroberten, stieg die Nässe als feiner Dunst. Die mit Gräsern und Farnen bedeckten Flächen rund um die Gräber dampften. Tropfen funkelten darin, ebenso wie im Efeu, der die verwitterten Grabsteine überwucherte.
Unter Dühnforts Balkon stand seit über hundert Jahren ein Marmorengel am Grab eines Musikers und belächelte gleichmütig die Endlichkeit allen Seins. Daneben, in der Ulme, raschelte es. Eine Krähe landete auf einem Ast, legte den Kopf schief und beäugte Dühnfort. In Nächten wie diesen wird zu viel gefeiert, getrunken und gestritten. In solchen Nächten fallen die Hemmungen, brodeln das Blut und die Gewalt. Und du musst die Scherben wegräumen. Was wird dich heute erwarten? , schien der Vogel ihn zu fragen.
Schritte erklangen. Gina schaltete die Espressomaschine an und kam auf den Balkon. Ihre dunklen Haare waren verstrubbelt, ihr Gesicht verknautscht, die Augen noch klein. »Morgen, Tino.« Erst reckte sie sich, dann ließ sie sich gegen ihn fallen. Er legte seine Arme um sie. Ihr Körper war vom Schlaf noch ganz warm.
»Wir sollten einen Ventilator kaufen. Vorausgesetzt, es gibt irgendwo noch einen.«
»So schlimm?« Aus ihrer Halsbeuge stieg der Duft nach Schlaf, durchtränkt mit Müdigkeit.
»Ich fühle mich, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen. Was nicht stimmen kann, denn ich bin ja ständig aufgewacht.«
»Du hast geschlafen. Dafür gibt es einen Zeugen.«
Sie beugte den Kopf zurück. »Du beobachtest mich beim Schlafen?«
»Ich meinte, einen Ohrenzeugen.« Das aufsteigende Schmunzeln unterdrückte er.
Überrascht stiegen ihre Brauen in die Höhe. Ihre Schokoladenaugen wirkten plötzlich wach. »Ich schnarche? Das glaube ich ja nicht.«
»Ziemlich leise. Es war eher ein Pühen.«
»Ein Pühen?«
»Beim Ausatmen spitzt du die Lippen und machst dabei püh.«
Zwei Sommersprossen verschwanden in der Falte an der Nasenwurzel. Das schelmische Grinsen, das er so liebte, erschien auf ihrem Gesicht. »Püh! Äh … puh! Tut mir leid. Habe ich dich geweckt?«
»Ich war ohnehin wach. Bei dieser Hitze kann ich nicht schlafen. Wir sollten vielleicht einen Ventilator kaufen?«
»Gute Idee. Warum bin ich nicht längst darauf gekommen?« Sie gab ihm einen Kuss. »Ich gehe jetzt duschen. Eiskalt. Sonst werde ich heute nicht mehr munter.«
Während sie im Bad war, bereitete Dühnfort das Frühstück. Milchkaffee für Gina, Cappuccino für sich.
Ab morgen würde sich die Frage, wer als Erster ins Bad ging, nicht mehr stellen. Ab morgen hatten sie zwei Bäder, zwei Küchen, zwei Wohnungen. Die Nachbarwohnung war frei geworden. Genauso geschnitten wie seine, nur spiegelverkehrt. Gina hatte sie gemietet und der Hausverwalterin die Genehmigung für einen Umbau abgerungen. In einer halben Stunde kamen zwei Polen, die den Durchbruch im Flur machen und die Tür einbauen sollten. Und damit war das Problem des Zusammenziehens endlich gelöst.
Das Frühstück war gerade fertig, als Gina sich zu ihm setzte. Er fragte, ob er morgen nicht
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