Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
Achtziger prägten das Ortsbild. Sie erreichten die Ortsmitte mit zahlreichen Geschäften, Volkshochschule und Kulturzentrum, passierten den S-Bahnhof und bogen in ein Wohnviertel ein. Häuserblocks. Kleine Gewerbebetriebe. Dazwischen Doppelhaushälften und Einfamilienhäuser. Der intensive Duft nach frischem Kaffee stieg Dühnfort ebenso plötzlich in die Nase, wie er wieder verschwand. Im Anemonenweg angekommen, entdeckte er weiter hinten in der Straße die Absperrung. Rotweiße Bänder hingen schlaff im Morgenlicht. Pia hatte den Tatort weiträumig absperren lassen. Einige Mitarbeiter der Kriminaltechnik suchten Gehwege und Gebüsche ab und nahmen in der Einfahrt des Nachbarhauses einen Müllcontainer in Augenschein. Sie waren offenbar auf der Suche nach der Tatwaffe. Wieder einmal erinnerten sie ihn in ihren Einwegoveralls an emsige weiße Käfer. Dühnfort stoppte hinter zwei Einsatzfahrzeugen und den Bussen der Spurensicherung.
Einen Augenblick später fuhr ein schwarzer Mini vor und hielt auf der anderen Straßenseite. Alois war da. Wie immer wirkte er, als hätte er sich soeben in einer eleganten Herrenboutique neu eingekleidet. Heute trug er einen lichtgrauen Sommeranzug mit weißem Hemd, dessen oberster Knopf geöffnet war. Das einzige Zugeständnis an die Hitze. »Guten Morgen, Tino. Hallo, Kirsten. Was steht an?«
Dühnfort erklärte es ihm. Auch die Tatsache, dass sie es mit einem Tatort ohne Leiche zu tun hatten, und woran das lag.
»Ein seufzender Toter? Wenn ich jemals ein Buch über meine Arbeit schreiben sollte, dann wird das der Titel.« Kopfschüttelnd wandte Alois sich der Baustelle zu.
5
Dühnfort schlüpfte unter der Absperrung hindurch und hielt sie für Kirsten hoch. Dabei betrachtete er das Gebäude. Ein Rohbau für ein Wohn- und Geschäftshaus mit vier Etagen. Noch herrschte hier Ruhe. Und würde auch weiter herrschen. Denn gearbeitet wurde hier heute ganz sicher nicht. Jedenfalls nicht von den Mitarbeitern des Bauunternehmens.
Er sah sich nach Pia Cypris um, einer drahtigen Frau von Anfang fünfzig, und entdeckte sie auf der betonierten Zufahrtsrampe zur Tiefgarage. Sie befand sich im Gespräch mit zwei Männern, denen sie offenbar genau das klarzumachen versuchte. »Vor allem ist das ein Tatort, und der ist gesperrt, beschlagnahmt, nennen Sie es, wie Sie wollen, und Sie können gern Ihren Anwalt bemühen. Er wird Ihnen nichts anderes sagen als ich.« Pia verschränkte die Arme vor der Brust. Zu diesem Thema war aus ihrer Sicht alles gesagt. Das sollte der Mann, der Bauarbeiterhelm zum Anzug trug, langsam mal akzeptieren.
Bauherr oder Architekt?, fragte Dühnfort sich. Der andere, ein stämmiger Kerl mit Bierbauch und muskulösen Waden, steckte in kurzen Twillhosen, Arbeitsschuhen und T-Shirt. Unterm Arm klemmte der Helm. »Was machen wir jetzt, Herr Senftleben? Soll ich die Männer etwa heimschicken?«
»Es sieht nicht so aus, als hätten wir die Wahl. Die Leute bekommen einen Tag frei. Das geht vom Urlaub ab. Damit das klar ist, Herr Schaller.« Senftleben zog sein BlackBerry aus der Sakkotasche und bekam den verärgerten Blick nicht mit, den ihm sein Vorarbeiter zuwarf. Schaller verließ den abgesperrten Bereich und ging zu einem VW-Bus, der jenseits der Absperrung parkte. Hinter den Scheiben erkannte Dühnfort ein halbes Dutzend Köpfe.
»Wie lange wird das dauern?«, fragte Senftleben Pia.
Ein Schulterzucken war ihre Antwort.
»Haben Sie eine Ahnung, was mich das kostet?«
Bauherr also. Dühnfort begrüßte Pia. Sie sah übernächtigt aus und stellte ihn vor. »Wenden Sie sich an den zuständigen Ermittler. Kriminalhauptkommissar Dühnfort.«
Er nickte Senftleben zu. »Geben Sie mir Ihre Karte. Ich rufe Sie an, sobald wir hier fertig sind. Das kann allerdings zwei Tage dauern.«
»Zwei Tage?« Senftleben zog eine Visitenkarte hervor und reichte sie ihm. Er war nicht Bauherr, sondern Bauleiter. »Wer bezahlt den Schaden? Papa Staat etwa?«
»Haben Sie keine Versicherung dafür?«, fragte Alois, der hinzugetreten war.
Der Bauleiter warf ihm einen verärgerten Blick zu.
Dühnfort steckte die Karte ein. »Wir werden nicht unnötig Zeit verlieren. Aber wir machen unsere Arbeit gründlich. Und die hat jetzt Vorrang.«
Resigniert nahm Senftleben das zur Kenntnis und verabschiedete sich. Pia reckte sich. Man sah ihr die Nachtschicht an. Die Fältchen um Augen und Mund wirkten tiefer. Mit einer Hand fuhr sie sich durchs Haar und gähnte. »Schön, euch zu sehen. Machen wir
Weitere Kostenlose Bücher