Verführ mich undercover!
Profil.
„Wie viele Entführungen gab es letztes Jahr?“
„Zu viele“, sagte Jared.
„Seit Dezember keine einzige mehr“, widersprach Otto. „Ich will nicht mit dir streiten, aber …“
„Und ich erwarte ja auch gar nicht, dass wir etwas völlig Ungefährliches fördern“, betonte Jared. „Ich habe auch nichts dagegen, Geld für Security auszugeben. Aber wollen wir uns ausgerechnet auf Royces Meinung dazu verlassen, was gefährlich ist und was nicht?“
Weder Otto noch Stephanie wussten darauf etwas zu erwidern.
In der plötzlichen Stille bemerkte Jared, dass sich auf der Veranda etwas bewegte. Es war nicht Anthony. Es war …
„Entschuldigt mich bitte einen Moment.“ Jared stand auf und ignorierte die überraschten Gesichter der beiden. Zielstrebig ging er zur Tür.
„Wir haben in Neapel noch Familie“, sagte Anthony gerade zu Melissa, als Jared die Fliegengittertür aufstieß. „Und ich besuche sie, sooft ich kann.“ Anthony saß auf dem Geländer der Veranda und stützte sich mit den Armen ab. Melissa stand vor ihm.
„Ich wollte schon immer nach Italien“, sagte sie seufzend. „Das Kolosseum, der Vatikan, die Sixtinische Kapelle …“
Ganz schön große Träume für eine Frau, die es nicht einmal bis Seattle schafft, dachte Jared abschätzig.
Anthony stieß sich vom Geländer ab und baute sich in voller Größe vor Melissa auf.
„Ich würde Ihnen Venedig sehr gerne zeigen“, sagte er, und sein Ton versprach mehr als nur eine Fahrt auf dem Canale Grande.
Jared fragte sich, wen er warnen sollte – Melissa vor Anthony, der ein unverbesserlicher Frauenheld war, oder Anthony davor, dass Melissas Talente sich aufs Flirten beschränkten.
„Ich nehme an, Sie haben meine Anweisung befolgt und mein Pferd weggebracht?“, fragte er stattdessen.
Melissa drehte sich um. Wieder wirkte sie schuldbewusst und überrascht, ihn zu sehen. Und wieder durchströmte ihn Begehren – höchst unwillkommenes Begehren.
Entschlossen schüttelte er das Gefühl ab.
„Melissa und ich sprachen gerade über Italien“, plauderte Anthony weiter, doch seine angespannt hochgezogenen Schultern signalisierten Jared deutlich, dass er sich über die Unterbrechung nicht freute.
So ein Pech aber auch.
„Du sollst dir Gedanken über Sierra Benito machen“, erinnerte Jared ihn und näherte sich den beiden unter dem Schein der Verandalampe.
„Das kann warten“, meinte Anthony wegwerfend.
Betont langsam hob Jared den Arm, um auf seine Uhr zu blicken. „Das Meeting dauert schon ziemlich lange.“
„Gib mir fünf Minuten. Ich bin gleich wieder da.“
Jared machte keine Anstalten, zu gehen.
Melissas Blick wanderte zwischen den beiden Männern hin und her. Sie verzog keine Miene, doch ihre Augen leuchteten vor Neugier.
„Wenn Melissa schon hier ist …“, Jared drehte sich zu ihr um, „… kann sie vielleicht etwas zur Diskussion beitragen. Was meinen Sie? Ist Sierra Benito für ein humanitäres Projekt zu gefährlich?“
„Darüber will sie bestimmt nicht diskutieren …“, protestierte Anthony.
„Meinen Sie direkt in Suri City?“, fragte sie, ohne seinen Einwurf zu beachten. „Oder in den Bergen?“
Verblüfft sah Jared sie an. Die meisten Menschen hatten noch nie von Sierra Benito gehört, geschweige denn von seiner Hauptstadt.
„Ein kleines Dorf namens Tappee“, erklärte er.
Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf. Die winzige Bewegung unterstrich den Schwung ihres seidigen blonden Haars. „Dort herrschen schreckliche Bedingungen. Die Dorfbewohner leben in bitterer Armut.“
Lachend legte Anthony einen Arm um Melissas Schultern. „Willkommen im Klub, Signorina Melissa.“
Am liebsten hätte Jared sie ihm aus den Armen gerissen. Doch das war ja lächerlich. Die halbe Umarmung bedeutete eine freundschaftliche Geste, mehr nicht.
„Wissen Sie eigentlich, was die Goldgräber den Dörflern antun?“, fragte Melissa.
„Und wissen Sie, was die Rebellen mit den Goldsuchern machen?“, gab Jared zurück. Er hatte Mühe, sich zu konzentrieren, war damit beschäftigt, den Aufruhr seiner Gefühle zu unterdrücken.
Was interessierte es ihn, ob Anthony Melissa umarmte?
Entrüstet schüttelte sie den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass Sie sie auch ausbeuten wollen.“
Jared zuckte zusammen. „ Wen beuten wir aus?“
„Die Leute im Dorf.“
„Das habe ich keinesfalls vor.“ Noch immer starrte Jared auf Anthonys Hand.
Melissa trug eine weiße Baumwollbluse. Das Gewebe war dünn und
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