Verführerische Maskerade
klimperte mit den Münzen in seiner Tasche.
»Oh, aye. Nun, leider haben wir bereits einen Passagier an Bord … weiß nicht, ob der Platz für einen zweiten reicht«, warf der andere Mann ein.
»Ich zahle sehr gut«, wiederholte Tatarinov.
»Eh, es ist genug Platz da«, behauptete der erste Mann. »Die Kabine ist belegt, aber Sie können an Deck bleiben. Es wird ein bisschen frostig werden. Aber mit einem dicken Segeltuch können Sie es aushalten. Wir brechen im Morgengrauen auf.«
»Warten Sie einen Augenblick«, meinte der zweite Mann, neigte den Kopf zur Seite und zeigte auf die Ladeluke. »Wir müssen aufpassen.«
»Aye«, bekräftigte sein Kumpan und zog die Hosen hoch. »Wir sind gleich zurück, Sir.«
Tatarinov nickte, als würde er sich nicht weiter für die Männer interessieren. Aber Livia bemerkte seine versteinerte Miene, als er sich von der Luke abwandte, die Hände in die Hosentaschen stopfte und grimmig auf den Kai hinüberstarrte.
Sie lehnte sich dichter an das Bullauge und wischte mit dem Ärmel über die Scheibe. Vor Aufregung hatte sie eine Gänsehaut. Sie spuckte auf das verschmierte Glas, rieb wieder und hatte schließlich ein kleines Loch gesäubert.
Livia starrte in die dämmrige Kajüte. Alles lag im Schatten. Es war unmöglich, irgendetwas klar zu erkennen; sie sah nur schemenhafte Konturen und eine Lampe, die auf kleiner Flamme brannte. Aber sie konnte etwas hören, ein unablässiges dumpfes Klopfen in einem schwach erkennbaren Rhythmus.
Ein elektrisierender Schauder rann über ihren Rücken. Ungeduldig spie sie auf das Bullauge, rieb heftig und vergrößerte das Guckloch. Jetzt konnte sie deutlicher erkennen, was sich drinnen in der Kajüte abspielte.
Sie sah einen gefesselten Mann auf einem Stuhl nahe am Tisch, sie sah, wie er aus den Knien Schwung holte und mit beiden Beinen gegen die Unterseite des Tisches trat. Das Geräusch, das sie hörte, musste daher rühren. Im selben Rhythmus hatte Tatarinov an die Türen geklopft, als er seine Kumpanen zusammengetrommelt hatte. Der Mann auf dem Stuhl konnte nur Alex sein.
Livia hob die Hand und wollte auf das Bullauge klopfen. Im letzten Moment zuckte sie zurück und rutschte beinahe auf dem glitschigen Kai aus. Ihr wurde übel. Zwei Männer betraten die Kajüte. Sie hörte das Geräusch schlagender Fäuste, wagte es aber nicht, einen Blick zu riskieren. Alex hatte sich denken können, dass seine Tritte nicht nur Tatarinovs Aufmerksamkeit erregten. Er war auf die Schläge vorbereitet, wie Livia wusste, obwohl es ihr dadurch nicht erträglicher wurde.
Sie entfernte sich von der Bordwand, wusste nicht, was sie jetzt tun sollte, und suchte nach Tatarinov. Dann bemerkte sie, wie er sich wieder zur Luke drehte, als die beiden Männer auftauchten. Einer rieb sich die Knöchel. Tatarinov schaute den Kai entlang, sah, wie Livia ihm entgegenkam, und bedeutete ihr mit einer kaum merklichen Handbewegung, sich zurückzuhalten.
Sie hatte keine Wahl. Erst musste der Mann sein Geschäft mit den Seeleuten abwickeln. Dann konnte sie ihm verraten, was sie vorhatte. Ihre Übelkeit war längst einer unbändigen Wut gewichen. Livia zog sich in den Schatten zurück und wartete.
24
L ivia duckte sich in den Schatten des Bootsschuppens. Hinter sich hörte sie Stiefeltritte und undeutliche Stimmen, die Russisch sprachen. Alex’ Entführer … die Geheimpolizei. Dann hätten wir die vier Männer auf der Caspar gegen Tatarinov mit seinen drei Kumpanen, dachte sie, also vier gegen vier. Das hieß, die Chancen standen nicht schlecht, besonders wenn man den Vorteil zählte, der sich aus dem Überraschungseffekt ergab.
Ihr Herz pochte so heftig, dass sie überzeugt war, es würde sich wie eine Pauke anhören. Aber ihr Kopf war klar, sie war finster entschlossen und würde sich um nichts in der Welt von ihrem Plan abbringen lassen. Livia beobachtete zwei Männer, die sich dem Boot näherten. Aber bevor sie es erreichten, war Tatarinov schon auf den Kai gesprungen und eilte in die entgegengesetzte Richtung. Das Gesicht hatte er in der Kapuze seines Mantels verborgen.
Die Männer schauten ihm nach und kletterten dann an Deck. Sie sind reichlich unsicher auf den Beinen, dachte Livia, umso besser, wenn sie betrunken sind.
»Sehen Sie zu, dass Sie verschwinden«, flüsterte Tatarinov hinter ihr mit rauer Stimme. Livia fuhr der Schreck in die Glieder. Denn gerade eben hatte sie ihn in die entgegenliegende Richtung davonlaufen sehen, und jetzt tauchte er am
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